Aufsichtsrat in Kenia

Mit drei Kollegen aus dem Aufsichtsrat in Kenia

Soeben haben wir die erste Hälfte der Mitgliederversammlung des TransFair e.V. beendet, meine 16. Vor 13 Jahren habe ich das erste Mal als Vertreter der Mitgliedsorganisation DPSG daran teilgenommen, vor 12 Jahren wurde ich von der Versammlung als Vertreter der Jugendverbände in den damals noch ehrenamtlichen Vorstand gewählt und vor sechs Jahren in den ehrenamtlichen Aufsichtsrat. Die letzten drei Jahre war ich Vorsitzender dieses Leitungsgremiums. Heute trete ich nicht erneut an. Die Gründe dafür sind vielfältig: Einerseits gibt es eine neue, jüngere, Kandidatin aus den Jugendverbänden, andererseits kann ich die Zeit für die Familie mit zwei kleinen Kindern gut gebrauchen und schließlich soll man ja gehen, wenn es am schönsten ist. Deshalb möchte ich diesen Blogbeitrag nutzen um auf die größten Highlights der letzten 12 Jahre zurückzublicken.

Fairtrade vor Ort

Alto Sajama

Doña Irene Cresondo – Erster Produzentenbesuch in Bolivien

Persönlich waren dies sicher die Besuche bei den Produzentenorganisationen im Süden. Durch eine Studienreise mit dem BDKJ, eine Reise mit dem Aufsichtsrat und mehrere private Reisen konnte ich in den 12 Jahren Produzenten in 8 Ländern in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika besuchen. Das hat mir einen Eindruck davon verschafft, wie vielfältig fairer Handel ist und wie unterschiedlich die einzelnen Organisationen sind. Es gibt einfach alles von der 40 Familien umfassenden Kaffee-Kooperative in Bolivien, die ihre gesamte Ernte über den fairen Handel verkauft über riesige Kakao-Kooperativen mit 1.250 Mitgliedern in Panamá, einem Zusammenschluss von Kakao-Kooperativen in Bolivien, die eine meiner Lieblingsschokoladen selbst produziert, den Teegärten in Indien, die viele angestellte Mitarbeitende haben bis zu einem Zusammenschluss von Fairtrade-Kaffee-Kooperativen in Kenia, der noch kein einziges Kilo Kaffee zu Fairtrade-Bedingungen verkauft hat. Und das waren noch nicht alle Produkte und Länder, die ich in den letzten Jahren besuchen durfte. Das wichtigste ist aber: überall auf der Welt wurde mir berichtet, dass Fairtrade einen Unterschied macht. Die positiven Wirkungen sind vielfältig und ich möchte sie hier nicht alle wiederholen. Sie gehen von der Produzententochter, die als erste ihrer Familie studiert hat über Schulen und Krankenstationen, die mit Fairtrade-Prämien gebaut wurden, vielfältigen Maßnahmen zur Verbesserung von Produktivität und Qualität und damit der Erhöhung der Einkommen bis zu vielleicht dem wichtigsten Punkt, der Organisation der Produzierenden, so dass sie gemeinsam stark sind.

Wachstum der Fairtrade-Absätze & Kakao-Programm

Für die Produzenten ist das Wachstum der Fairtrade-Absatze entscheidend – so habe ich es aus erster Hand erfahren. In den vergangenen 12 Jahren haben wir es in Deutschland in beeindruckender Weise geschafft, die Absätze zu Fairtrade-Bedingungen zu steigern: In 2009 wurden 300 Millionen Euro für Fairtrade-Produkte ausgegeben, in 2019 2 Milliarden Euro. 2020 Corona-bedingt etwas weniger. Das ist eine Steigerung um Faktor 6,5 oder fast 12 Jahre zweistelliges Wachstum in Folge!Entwicklung von Fairtrade in DeutschlandBesonders beeindruckend ist jedoch die Entwicklung beim Kakao. Vor 12 Jahren waren die Marktanteile marginal bei vielleicht einem Promille. Und schon lange wurde diskutiert, ob eine „Lockerung“ unserer Standards, etwa durch Zertifizierung lediglich des Kakaos, uns hier voranbringen könnte. Bei einem solchen Rohstoff-Siegel müsste in einer Tafel Schokolade eben nur der Kakao fair gehandelt sein und nicht unbedingt der Zucker und weitere Zutaten. Ich selbst war hier anfangs wie viele skeptisch. Die Risiken schienen groß, dass Zuckerabsätze einbrechen, Händler auf ein neues Rohstoff-Siegel umschwenken und dass unsere Reputation in den Keller geht. Und überhaupt: Eine „Absenkung“ der Standards und eine Abkehr vom altbekannten ATCB-Prinzip („All that can be Fairtrade, must be Fairtrade“) geht gar nicht, wurde es mir auch aus meinem Umfeld zurückgemeldet. Ich selbst hatte insgeheim bei einem Rohstoff-Siegel gehofft, dass uns letztendlich der Erfolg rechtgeben würde, wenn wir mit einem solchen Ansatz die Kakao-Absätze innerhalb ein paar Jahre vielleicht verdrei- oder verfünffachen könnten. Fairtrade-Rohstoff-Siegel2014 war es dann soweit und das Fairtrade-Kakaoprogramm (heute Fairtrade Sourced Ingredients, FSI oder einfach nur Fairtrade-Rohstoff-Siegel) ging mit einem überzeugenden Ansatz an den Markt. Und es war ein voller Erfolg: Gleich zu Beginn konnten namhafte Hersteller und vor allem der Lebensmitteleinzelhandel mit seinen Eigenmarken für das Programm gewonnen werden. Die Kakao-Absätze versechsfacten sich bereits im ersten Jahr und befürchtete Risiken lösten sich in Luft auf. Insgesamt stiegen die Fairtrade-Kakao-Absätze in Deutschland von 1.338 Tonnen in 2013 auf 76.400 Tonnen in 2020. Das ist Faktor 55! Wir haben hier also Marktanteile erreicht, die sicher nicht nur ich vor 12 Jahren nicht zu träumen gewagt hätte. Und wir sind von der absoluten Nische in den Mainstream gekommen: Es fällt beispielsweise schwer, in einem deutschen Discounter einen Schoko-Weihnachtsmann, -Osterhasen oder eine andere saisonale Süßigkeit zu finden, die Kakao enthält, der nicht nach Fairtrade-Standards gehandelt wurde.

Einführung des Textilstandards

Textilien mit Fairtrade-Baumwolle gibt es schon seit 2007 und die Absatzentwicklung in den letzten Jahren war erfreulich. Doch leider sind wir hier seit jeher nur in der Lage, den Rohstoff, die Baumwolle, zu zertifizieren. Textilen werden jedoch in langen Lieferketten hergestellt und ein großer Teil der Wertschöpfung findet erst nach der Baumwollernte statt. Dies oft zu inakzeptablen Bedingungen – auch unser Baumwollstandard stellt hier lediglich ein Mindestmaß an Arbeitnehmerrechten in der Lieferkette sicher. Trotz der zu erwartenden Komplexität hat es der ehrenamtliche Vorstand in den frühen 2010er Jahren forciert, in die Entwicklung eines umfassenden Textilstandards zu investieren. Fairtrade Textile ProductionDieser wurde dann 2016 veröffentlicht. Er fordert eine faire textile Produktion in allen Stufen der Lieferkette, inklusive der Zahlung existenzsichernder Löhne nach einer Übergangszeit von 6 Jahren. Das ist anspruchsvoll und ich habe mich seinerzeit dafür eingesetzt, dass das so anspruchsvoll wird. Andere begrüßenswerte Initiativen fordern lediglich, dass auf existenzsichernde Löhne hingearbeitet wird (ohne dass ein einziges Unternehmen das nach Jahrzehnten erreicht hätte) und sie betrachten dabei nur die letzte Stufe der textilen Produktion. Trotz unseres hohen Anspruchs habe ich unseren Standard in Diskussionen vor anderen NGOs verteidigen und mir anhören müssen, dass das mit den sechs Jahren Übergangszeit ja viel zu lasch ist, dass Produktsiegel prinzipiell schlecht sind und dass man den Standard auch ganz vergessen könne, wenn wir nicht gleichzeitig auch Bio fordern. Unverständlich, denn unser Standard scheint so anspruchsvoll zu sein, dass es bis heute kein Unternehmen geschafft hat, diesen mit auch nur einer vollständigen Lieferkette umzusetzen. Das ist schade, aber ich bin überzeugt, dass die hohen Summen, die wir in Entwicklung, Trainings, Überarbeitung, Marktbearbeitung etc. investiert haben, gut angelegt sind. Natürlich hoffe ich darauf, dass wir bald Textilien mit unserem Siegel „Fairtrade Textile Production“ in Händen halten können. Ohne Corona wäre das wohl auch jetzt schon der Fall, so wird es ein Unternehmen aber voraussichtlich in Kürze erreichen. Ich wünsche mir aber deutlich mehr! Denn es ist nicht zu akzeptieren, dass den Menschen, die unsere Kleidung herstellen, keine fairen Bedingungen und keine Existenzsicherung zugestanden wird.

Ausblick

Eins der großen generellen Themen, die Fairtrade international wie national beschäftigen wird – und was mir als Informatiker besonders am Herzen liegt – ist das Thema Digitalisierung. Rückverfolgbarkeit und Transparenz der Lieferketten stehen prominent in der internationalen wie nationalen Strategie, aber die Herausforderungen, alle Daten von der Bestellung des Feldes bis zum Konsumenten auswertbar und zugänglich zu machen, sind gewaltig. Dabei ist es heutzutage einerseits für die Konsumenten wichtig, transparent zu machen, wo ein Produkt herkommt, wer dafür was bezahlt hat und wie es um Zertifikate und Qualität bestellt ist. Anderseits ist es für die Unternehmen essentiell nachweisen zu können, wo, wann und zu welchen Bedingungen sie eingekauft haben. Dies wird nicht zuletzt für die Erfüllung eines – hoffentlich bald in anspruchsvoller Form kommenden – deutschen und europäischen Lieferkettengesetzes notwendig sein. Fairtrade hat hier für die Unternehmen schon viel zu bieten, nur geht das leider noch nicht auf Knopfdruck. Gleichzeitig sind die Sorgen gerade der Kleinbauernorganisationen ernst zu nehmen, ob bei Problemen in den Lieferketten auch langfristig an deren Beseitigung gearbeitet wird. Auf Konsumentenseite gibt es erste spannende Pilotprojekte (Beispiel), von denen es einerseits hoffentlich bald mehr geben wird, die andererseits wünschenswerter Weise mittel- bis langfristig zum Standard im fairen Handel werden könnten.

Auch vereinsintern wird sich einiges ändern. Zunächst haben wir soeben in der Mitgliederversammlung nach langem beschlossen, unseren nun fast 30 Jahre alten Namen „TransFair – Verein zur Förderung des Fairen Handels in der Einen Welt e.V.“ (bis 2015: „in der Dritten Welt“) abzulegen und zukünftig nur noch als Fairtrade Deutschland e.V. aufzutreten. Dieser Schritt zieht auch formal das nach, was wir schon seit langem so handhaben, indem wir selbst meist nur von Fairtrade Deutschland sprechen. Ich hoffe, dass dieser Schritt zu mehr Klarheit und weniger Verwirrung führen wird.

Teegarten

Mit unserer stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden im Teegarten

Was die Struktur des Vereins betrifft, hatten wir vor 12 Jahren einen ehrenamtlichen Vorstand und einen vom Vorstand bestellten Geschäftsführer, seit 2011 drei. Aus dem ehrenamtlichen Vorstand ist ein ehrenamtlicher Aufsichtsrat geworden, aus der Geschäftsführung ein inzwischen vierköpfiger hauptamtlicher Vorstand. Dies trägt den gewachsenen Verantwortlichkeiten und Aufgaben des Vereins Rechnung. Und dennoch haben wir die Weichen dafür gestellt, ab Sommer 2022 mit einem dreiköpfigen gleichberechtigten Vorstand weiterzumachen, ohne Vorstandsvorsitz! Wenn unser jetziger Vorstandsvorsitzender in den wohlverdienten Ruhestand geht, sollen die drei verbleibenden Vorstandsmitglieder, zwei Frauen und ein Mann, den Verein gemeinsam und gleichberechtigt führen. Bis dahin wird sich an der internen Organisation noch einiges tun müssen, damit nicht drei Vorstände die Arbeit von vier tun müssen. Ich bin überzeugt, dass das zeitgemäß und der richtige Schritt ist und verlasse den Aufsichtsrat in dem Wissen, die richtigen Veränderungen mit angestoßen zu haben.

Alle hier angesprochenen Erfolge – und das sind natürlich längst nicht alle – sind vor allem der Verdienst unserer Geschäftsführung – jetzt Vorstand – zusammen mit allen Mitarbeitenden in der Kölner Geschäftsstelle. Vielen Dank für Euren Einsatz und Eure Hartnäckigkeit! Für die Zukunft wünsche ich mir, dass nicht nur die positiven Entwicklungen eintreten werden, auf die ich jetzt schon hoffe, sondern auch die, von denen ich derzeit noch nicht zu träumen wage.

Fotos: Kenia & Teegarten: Michaela Reithinger, Bolivien: Frank Eichniger