Einen Monat lang tausche ich den deutschen Winter gegen südafrikanischen Sommer ein und unterstütze das Team von Fairtrade Africa, eines der drei großen Produzentennetzwerke von Fairtrade, in Kapstadt. Auf dem Blog berichte ich von meiner Reise in den Ursprung von fairem Wein, Zucker und Vanille und vom Arbeitsalltag am südlichsten Ende Afrikas.

Woche drei | Um kurz nach fünf Uhr morgens höre ich Motorengeräusche vor der Haustür. „Sind da“, simst meine Kollegin Athenkosi. Schnell werfe ich Portemonnaie und Notizblock in meinen Rucksack und fülle die Wasserflasche noch einmal auf. Eine halbe Stunde zu früh. „Ihr seid pünktlicher als wir Deutschen“, rufe ich Athenkosi und unserem Fahrer Bruce zu und lasse mich auf die Rückbank des Autos fallen. Noch sind die Straßen frei. Zum Glück, denn Stau können wir heute nicht gebrauchen. Um acht Uhr beginnt das Training zu „Kommunikation und Führungsqualitäten“ auf einer der Fairtrade-Farmen weit außerhalb von Kapstadt.

In vielen Städten wächst der Fremdenhass

Während wir uns über die Nationalstraße, die südafrikanische Autobahn, von Kapstadt entfernen, zieht es die meisten Menschen in die Stadt, besonders zu Tagesbeginn. Einige machen sich zu Fuß auf den Weg. „Viele hoffen auf Arbeit für den Tag“, erzählt Athenkosi und zeigt auf einen der Fußgänger auf dem Seitenstreifen. „Wer Arbeiter*innen für einen kurzen Zeitraum sucht, hält an und bringt sie am Ende des Tages zurück.“ Vor allem Einwanderer aus anderen afrikanischen Staaten wie Simbabwe schlagen sich so durch. Viele von ihnen arbeiten illegal auf Baustellen oder Farmen, häufig für einen Bruchteil des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns von 20 Rand pro Stunde, umgerechnet 1,20 Euro. In Kombination mit den strukturellen Problemen des Landes, der extrem hohen Arbeitslosigkeit gerade bei jungen Menschen und der steigenden Kriminalität, wächst der Hass gegenüber Einwanderern seit einigen Jahren. Nur wenige Monate ist es her, dass wütende Südafrikaner*innen Geschäfte und Autos von ausländischen Mitbürger*innen anzündeten. Selbst internationale Medien berichteten über den wachsenden Hass gegen Mirgrant*innen in Städten wie Johannesburg und Kapstadt.

Vom Sorgenkind zum Überflieger

Nach knapp zwei Stunden erreichen wir Piketberg, eine Gemeinde an der Westküste, 133 km von Kapstadt entfernt. Die Farm, auf der Tafeltrauben angebaut werden, liegt im Nirgendwo, zur nächsten Tankstelle sind es 30 Autominuten. Im Bürogebäude treffen wir Angelique. Als Compliance Officer der Farm kümmert sie sich darum, dass die Fairtrade-Standards eingehalten werden, die Arbeiter*innen Schulungen bekommen und die Farm ihre Zertifizierung behält. „Das letzte Audit haben wir so gut bestanden, dass wir eines überspringen konnten“, erzählt sie stolz. Das ist möglich, wenn Farmen ein geringes Risiko von Regelverstößen haben, weil sie bei Kontrollen überdurchschnittlich gut abschneiden. Dass die Farm ihre Fairtrade-Zertifizierung schon einmal verloren hat, verschweigt Angelique nicht. Aber das sei vor ihrer Zeit gewesen.

Für die Schulung kommen Beschäftigte aus unterschiedlichen Farmen zusammen.

Empowerment nach Plan

Für die Schulung kommen Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Farmen zusammen. Auf der Agenda stehen „Kommunikation und Führungsqualitäten“. Wie das Finanztraining, ist die Schulung Teil des „Dignity 4 all“ Projektes, in dem es darum geht, die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Arbeiter*innen im Weinsektor zu verbessern. Die Arbeiter*innen sollen lernen, was Empowerment bedeutet und ihre Rechte selbstbestimmt einfordern.

Zum Seminarbeginn um acht Uhr fehlt von den zwei gebuchten externen Trainern*innen jedoch jede Spur. Mit zwei Stunden Verspätung fahren zwei Autos auf den Hof. Sichtlich gehetzt steigen die beiden Seminarleiter*innen aus. Während einer ein riesiges weißes Papierplakat an eine der Wände im Seminarraum klebt, erklärt die zweite Trainerin die Regeln: Keine Handys; zuhören, wenn etwas gesagt wird; keine Toilettengänge außerhalb der Pausenzeiten. Die letzte Regel irritiert mich: Wie kann man erwachsene Menschen stärken, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen, wenn man ihnen gleichzeitig vorgibt, wann sie zur Toilette gehen dürfen?

Auf der Arbeit zu Hause

Zu Beginn des Seminars stellen sich alle Anwesenden vor und erklären ihre Erwartungen an den Tag. Dazu stehen die Teilnehmer*innen auf und kommen einzeln nach vorne. Einige können sich gut in Englisch ausdrücken, andere haben Probleme, die richtigen Worte zu finden. Der Großteil der Arbeiter*innen auf den Weinfarmen am Westkap spricht Afrikaans. Nach der Vorstellungsrunde gibt es eine Gruppenarbeit. „Überlegt gemeinsam, was die größten Probleme in euren Communities sind. Was hat sich bereits verbessert und welche Programme braucht es noch?“, erklärt eine der Trainer*innen. „Welche Probleme es auf den Farmen gibt?“, hakt ein Teilnehmer nach. Die Trainerin schüttelt den Kopf: „Heute soll es nicht um die Farmen, sondern um eure Wohnorte gehen.“ Dabei ist der Wohnort für die meisten Arbeiter*innen die Farm. Sie verbringen den Großteil ihres Lebens dort, wo sie arbeiten.

In Gruppenarbeit stellen die Teilnehmenden die gesellschaftlichen Herausforderungen vor, denen sie Tag für Tag begegnen.

Drogen, Kriminalität und Schulabbrüche – Alltagsprobleme in Südafrika

Während die Gruppen die größten gesellschaftlichen Probleme aus ihrem Umfeld aufzählen, versuche ich nachzuvollziehen, wie das Seminar ihren Arbeits- und Lebensalltag verbessern soll. Bandenkriminalität, frühe Schwangerschaften, keine Bildungsmöglichkeiten oder Drogen und Alkoholmissbrauch sind allgegenwärtige Probleme. Diese lassen sich durch einen solchen Workshop benennen, aber nicht beseitigen. Mir fehlt das Konkrete, der Mehrwert, den die Teilnehmer*innen mit nach Hause nehmen können.

Auch die Anwesenden scheinen nicht zu wissen, wohin das Seminar führt, genießen aber die Möglichkeit, dass es heute nur um sie geht. Sie öffnen sich, erzählen von Dingen, die sie gerade beschäftigen. Einer der Arbeiter lebt in einem der umliegenden Viertel. Er berichtet von Bandenkriminalität, die selbst die Bewohner des Viertels fürchten. Mit einer WhatsApp-Gruppe würden sich die Nachbarn Nachrichten schicken, wann es sicher sei, das Haus zu verlassen. Eine andere Teilnehmerin erzählt von ihrer Drogenvergangenheit.

Wie messbar ist Veränderung?

Die Offenheit der Erzählungen bringt mich zum Nachdenken: Natürlich macht es unsere Arbeit in Deutschland leichter, wenn wir konkrete Beispiele dafür haben, wie Fairtrade wirkt, was die Arbeiter*innen lernen und wie sich ihr Arbeitsalltag verbessert. Durch Prämiengelder finanzierte Schulen oder Krankenhäuser sind eindrucksvolle Beispiele. Aber wie misst man beispielsweise Empowerment? Geht es nicht um ein (Selbst)Bewusstsein für die eigenen Rechte, eine innere Haltung, die sich erst später in Worten und Taten ausdrückt? Müsste es demnach nicht ein großer Schritt sein, wenn jemand die eigenen Probleme für so wichtig erachtet, dass er sie teilt?

Mir fällt ein Zitat ein, auf das ich in Südafrika gestoßen bin:

„When the whole world is silent, even one voice becomes powerful”,

zu Deutsch: “Wenn die ganze Welt schweigt, hat selbst eine einzige Stimme die Macht, etwas zu verändern.“ Die eigene Stimme entdecken und laut werden, dafür braucht es solche Trainings. Seminare, die vielleicht kein greifbares Ergebnis haben, aber ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Veränderung sind. Möglicherweise ist es keine Information, die die Arbeiter*innen heute mit nach Hause nehmen, sondern ein Gefühl. Das Gefühl, wichtig zu sein.