Einen Monat lang tausche ich den deutschen Winter gegen südafrikanischen Sommer ein und unterstütze das Team von Fairtrade Africa, eines der drei großen Produzentennetzwerke von Fairtrade, in Kapstadt. Auf dem Blog berichte ich von meiner Reise in den Ursprung von fairem Wein, Zucker und Vanille und vom Arbeitsalltag am südlichsten Ende Afrikas.

Woche zwei | Wer bleibt nicht gerne bei Schaufenstern hängen, auf denen in roten Buchstaben “SALE” steht? Rabatte werden zu überzeugenden Kaufargumenten – selbst, wenn wir gar nicht vorhaben, etwas zu kaufen. Ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten ziehen solche Impulskäufe in den wenigsten Fällen nach sich, zumindest in Deutschland. Anders in Südafrika: Um sich den neuen Flatscreen leisten zu können, wird das monatliche Haushaltsgeld oder das Schulgeld der Kinder verprasst. So etwas passiere viel zu häufig, erklärt Thenji Sharuh. Zusammen mit Fairtrade schult sie Arbeiter*innen auf Fairtrade-zertifizierten Weinfarmen in finanziellen Belangen.

Das Training besteht aus insgesamt drei Modulen, die alle Farmarbeiter*innen nacheinander durchlaufen. Die erste Phase haben die Gruppen bereits absolviert und die eigenen finanziellen Bedürfnisse und Wünsche identifiziert: Was sind notwendige Ausgaben und was ist Luxus?

Cash ist King

Das zweite Moduls findet in einer durch Fairtrade-Prämiengelder finanzierten Schule statt. Weil die Ferien begonnen haben, sind nur wenige Kinder zur Betreuung vor Ort. Sie spielen im eingezäunten Schulhof, während sich die Erwachsenen in die Schulbänke zwängen. Zu Beginn des Trainings sollen die Seminarteilnehmer*innen zusammenfassen, was sie von der letzten Stunde behalten haben. “Keine Impulskäufe”, meldet sich einer der Anwesenden zu Wort. “Lieber sparen und die Dinge in bar bezahlen.” Thenji nickt: “Ich hoffe, ihr erinnert euch daran, wenn der Black-Friday-Sale startet.” Sie hängt ein großes Werbeposter auf, ein Angebot für einen Plasma-TV, wie er in vielen Werbeprospekten angepriesen wird. “Sparen Sie 1000 Rand” steht in fettgedruckten Buchstaben auf dem Plakat, , darunter das Angebot für eine Ratenzahlung. Im Kleingedruckten steht der Preis bei Barzahlung: 14.900 Rand – circa 900 Euro. Die wenigsten Arbeiter*innen können sich eine solche Summe auf Anhieb leisten. Um zu verdeutlichen, dass die Ratenzahlung sie am Ende jedoch teurer zu stehen kommt, werden Taschenrechner verteilt. Die Teilnehmer*innen sollen ausrechnen, was sie bezahlen, wenn sie den Fernseher wie vorgeschlagen monatlich abbezahlen. Das Ergebnis ist eindeutig: 19.152 Rand, deutlich mehr als bei Barzahlung. “Wer euch einen Kredit gibt – und eine Ratenzahlung ist nichts anderes – möchte daran verdienen”, erklärt Thenji und hängt ein zweites Poster auf.

Das Poster zeigt eine Tabelle mit unterschiedlichen Kreditgebern: offizielle Kreditgeber wie Banken und Geschäfte sowie die unseriösen Geldgeber. “Wann immer ihr euch Geld leiht, müsst ihr Zinsen zahlen. Die Höhe der Zinsen hängt von euren Geldgebern ab”, sagt Thenji. Von unterschiedlich hohen Zinsraten scheint hier noch niemand gehört zu haben. Die meisten Arbeiter*innen wählen bei Geldsorgen den schnellsten Weg, die sogenannte Kredithaie. Diese verlangen in der Regel zwischen 50 und 70 Prozent der geliehenen Summe als Zinsen zurück. Banken dürfen nicht mehr als 27,75 Prozent nehmen.

Wein als Lohn – eine kranke Industrie

Die Gefahren von Schulden zu erkennen, ist ein Ziel der Schulung. Ein anderes ist der Versuch, Geld zu sparen und Kredite gar nicht in Anspruch zu nehmen. Um zu sehen, wo gespart werden kann, erstellen die Teilnehmer*innen einen Budgetplan mit monatlichen Ein- und Ausgaben wie Einkommen, Miete, Einkäufen und Schulgeld. Um niemanden bloß zu stellen, rechnen alle Gruppen mit einem Durchschnittseinkommen von 3500 Rand, rund 200 Euro. Neben Einkäufen und Miete taucht in vielen Beispielrechnungen der Posten “Alkohol” mit größeren Summen in den Ausgaben auf. Besonders zu Wein haben die Arbeiter*innen nicht nur berufsbedingt eine Affinität, sondern oftmals eine ernsthafte Abhängigkeit, wie mir Thenji erklärt.

Bis in die 1960er Jahre war es gängige Praxis, die Arbeit auf den Weingütern mit Alkohol zu entlohnen. Entsprechende Gesetze verboten dies zu Beginn der 60er Jahre, trotzdem setzte sich die Praxis viele Jahre fort. Mit Auswirkungen, die noch heute deutlich spürbar sind: Südafrika verzeichnet weltweit die höchste Rate frühkindlicher Missbildungen durch Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft. An der Westküste liegt die Rate des sogenannten Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) laut offiziellen Angaben bei fast sieben Prozent. In Städten wie Robertson, Montagu, Bonnievale oder Ashton ist sie deutlich höher: Jedes achte Kind ist betroffen.

Anstatt radikale Veränderungen zu predigen, motiviert Thenji die Anwesenden zu kleinen, dafür realistischen Schritten. “Gebt eurem Mann oder eurer Frau eine bestimmte Summe für Ausgaben wie Alkohol oder Zigaretten”, rät Thenji. “Ist das Geld aufgebraucht, muss er oder sie bis zum nächsten Monat warten.”

Die Verführung ist groß

Zum Abschluss des Tages geht es um das Anlegen von Geld. Mithilfe einer einfachen Formel rechnen die Teilnehmer*innen aus, wie viele Zinsen sie bekommen, wenn sie ihren Bonus, der zum Ende des Jahres ausgezahlt wird, zur Bank bringen. Ein Vorgeschmack auf das dritte Trainingsmodul, in dem es ums Banking gehen soll. Die Bank sei nicht nur sicherer als das eigene Kopfkissen, sondern schütze vor Impulskäufen, sagt Thenji. Sie mahnt ein letztes Mal: “Ich weiß, der Black Friday verführt, aber wenn ihr nichts kauft, spart ihr am meisten.”