Am Donnerstagabend wurden in Berlin zum fünften Mal die Fairtrade-Awards vergeben, die Unternehmen und Organisationen ehren, die sich besonders für den Fairen Handel engagieren. Anke Engelke hat in bewährt amüsanter Art durch den Abend geführt. Und wieder hieß es mitzufiebern, wen die unabhängige Jury für die Preise ausgewählt hat.

Mitfiebern bei der Award-Verleihung

Logo Fairtrade-Award 2016

Ich war zum dritten Mal bei der Award-Verleihung dabei. Schon 2012 habe ich mitgefiebert, hatte aber noch gehofft, dass ein bestimmter nominierter Kandidat nicht gleich den ersten Platz belegt. So ist es 2012 auch nicht gekommen – Lidl hat den zweiten Platz in der Kategorie Handel bekommen. Ich war zufrieden, dass es nicht der erste war. Aber warum eigentlich? Eigentlich bin ich ein großer Freund der Vollmilchschokolade von Fairglobe, der Fairtrade-Eigenmarke von Lidl. Seit Lidl vor zehn Jahren Fairtrade-Produkte in sein Programm aufgenommen hat, wurde TransFair als Lizenzgeber mit Kritik überschüttet und die Weltläden fürchteten um ihre Umsätze. Das Ganze sei ein Feigenblatt, Greenwashing. „Fair und Discounter, das geht gar nicht“, hieß es sinngemäß. In Europa die Arbeitnehmer schlecht bezahlen, aber etwas für die Produzenten tun wollen. Und überhaupt, auf die paar verkauften Produkte können die Produzenten auch verzichten…

Überzeugt mit Zweifeln

Lidl-Prospekt 20112012 war ich längst überzeugt, dass das Engagement von Lidl etwas beim Fairen Handel bewegt. Von 2006 bis 2012 ist klar geworden, dass Lidl neue Käuferschichten anspricht, dass die Weltläden deswegen nicht eingehen und dass beträchtliche Mengen an Umsätzen und Prämien für die Fairtrade-Produzenten generiert werden konnten. Ich habe sogar einen Müslifabrikanten kennen gelernt, der von Lidl angesprochen wurde, ob er nicht Fairtrade-Müsli machen könne und sich deshalb erstmalig mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Dennoch wäre mir ein erster Platz vor vier Jahren unangenehm gewesen. Ist es doch nur ein Feigenblatt? Die Fairtrade-Produkte stehen vermutlich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen im Regal und nicht nur aus Überzeugung. Auch ganze Seiten zu Fairglobe im Lidl-Prospekt inklusive Portrait einer Zuckerkooperative zum Fünfjährigen sehe ich eigentlich als besonderes Engagement, andere aber als Greenwashing. Kann man eine Supermarkt- oder Discounter-Kette ehren, deren Einkaufsmacht und Preiskämpfe mit unfairen Bedingungen weltweit in Verbindung gebracht werden? Ich hatte meine Zweifel und der zweite Platz schien mir eine gute Lösung zu sein. Dennoch hagelte es Kritik.

Am Donnerstag hat Lidl den ersten Platz in der Kategorie Handel mit nach Hause genommen. Und ich habe mich darüber gefreut. Herzlichen Glückwunsch, Lidl! Warum, das möchte ich im Folgenden erklären.

Fairtrade-Produzenten brauchen jeden Absatzmarkt

Die Produzenten im Fairtrade-System setzen – aufgrund mangelnder Nachfrage – im Schnitt nur 40% ihrer Produkte im Fairtrade-System ab. Vor kurzem war es noch weniger und bei manchen Produzenten haben wir auch heute nur sehr niedrige Prozentzahlen. Dennoch lassen sie sich zertifizieren, zahlen dafür, verzichten auf bestimmte Pestizide und halten alle anderen Umwelt- und Sozialkriterien ein. Die Situation ist unbefriedigend und von den Produzentenvertretern wird von uns im Norden eingefordert, dass wir ihnen einen Markt schaffen. Das habe ich selbst bei meinen Reisen erfahren. Auch die Wissenschaft hat uns bestätigt, dass sich positive Wirkungen des Fairen Handels nur dann einstellen, wenn die Produzenten signifikante Mengen im Fairtrade-System absetzen. Lidl hat eine neue Käuferschicht angesprochen, die sonst kein Fairtrade kaufen würde. Und die inzwischen 26 gesiegelten Fairglobe-Produkte setzen signifikante Mengen um. Das ist z.B. bei den Fairglobe-Bananenproduzenten so, die ich in Peru besuchen konnte. Als erster Discounter hat Lidl zudem Vorbildcharakter: Inzwischen gibt es keinen größeren Supermarkt oder Discounter mehr in Deutschland, der nicht zumindest einen Fairtrade-Kaffee anbietet.

Konsequente Teilnahme am Kakaoprogramm

Kakaoprogramm: Nougat Kissen2014 hat TransFair das Kakaoprogramm eingeführt, wiederum mit dem Ziel, die Absätze für die Produzenten zu steigern. Lidl ist einer der ersten großen Teilnehmer an dem Programm. Seitdem kaufe ich gelegentlich die „Nougat Kissen“ von Crownfield, einer weiteren Lidl-Eigenmarke. Der genannte Müslifabrikant kauft nun offenbar fair gehandelten Kakao ein um die Produkte für Lidl herzustellen. Das Logo des Kakaoprogramms ziert aber nicht nur zehn verschiedene Zerealienpackungen, sondern ebenfalls Schokoladentafeln und vor allem die Saisonprodukte zu Weihnachten und Ostern. Im November 2015 bin ich aus dem Staunen nicht herausgekommen, als ich die etwa 50 Favorina-Produkte mit dem Logo gesehen habe, eine weitere Eigenmarke. Lidl hat hier tatsächlich von sämtlichen Zulieferern eingefordert, Fairtrade-Kakao einzukaufen und sich der Zertifizierung zu unterziehen. Wenn der Prozess einmal durchlaufen ist, fällt vielleicht auch die Zertifizierung anderer Produkte dieser Hersteller nicht mehr schwer. Wer möchte, kann sich derzeit von dem Ostersortiment bei Lidl überzeugen.

Nicht nur Absätze geehrt

Foto: Frank Nürnberger

Foto: Frank Nürnberger

Im Fairen Handel spielen aber natürlich nicht nur die Absätze eine Rolle. Der zweitplatzierte in der Kategorie Handel, Rewe Boppard, überzeugt mit dem persönlichen Engagement der Inhaberfamilie, die in ihrer Stadt den Fairen Handel vorbildlich bekannt macht. Auch Nummer drei, Pakka, überzeugt nicht nur mit Marktzugang, sondern damit, große Teile der Wertschöpfungskette bei den Produzenten zu belassen. In der Kategorie Handel wird Ethletik ausgezeichnet, die den ersten fairen Turnschuh auf den Markt gebracht haben, Jan Spille, der seit Jahren für ökologisches und sozialgerechtes Gold kämpft und Breitsamer und Ulrich, die mit ihren Klimaschutzbemühungen herausstechen. Nicht zuletzt werden in der Kategorie Zivilgesellschaft all jene geehrt, die sich ehrenamtlich für den Fairen Handel einsetzen und beharrlich Menschen von mehr Fairness überzeugen. Dieses Jahr das Aktionsbündnis Faire Uni Saar, die Fairtrade AG Langeoog und die Künstler für Gerechtigkeit.

Erwartungen an den Handel

Aber was kann man nun von einem Händler erwarten, der an Endkunden verkauft? Ich würde mir natürlich wünschen, dass jeder Kaffee, jede Schokolade und so weiter aus Fairem Handel stammt – auch bei Lidl! Aber wir müssen bei der Realität bleiben, so bitter das ist. Ein Discounter kann offenbar derzeit in Deutschland nicht bestehen, wenn er nur faire Produkte anbietet. Der Preiskampf in deutschen Supermärkten und Discountern ist sicher ein grundlegendes Problem dabei und auch die Verbraucher sind nicht unschuldig. Die Studie „Wer hat die Macht?“ zeigt sehr deutlich auf, wie sich Preiskampf und Machtkonzentration nachteilig auf die Produzenten auswirken – im Norden wie im Süden. Ohne neue politische Regulierungen oder ein fundamental geändertes Verbraucherverhalten wird sich daran aber vermutlich so schnell nichts ändern. Produkte mit dem Fairtrade-Siegel brechen den Preiskampf aber auf. Egal ob Premium oder Discount, es gelten die gleichen Mindestpreise, Prämien und Standards. Im Fall des Kakaoprogramms gilt dies zumindest für den Kakao, bei dem es sonst die meisten Berichte von ausbeuterischer Kinderarbeit gibt.

Lidl hat sich zehn Jahre im Fairen Handel engagiert und dieses Engagement zuletzt massiv ausgebaut. Ohne Lidls Herstellervorgaben hätte wohl nur ein sehr kleiner Teil der Lidl-Kundschaft fair gehandelten Kakao unter dem Weihnachtsbaum gehabt oder nach einer Joga-Hose aus fair gehandelter Baumwolle gegriffen. Diese neuen Fairtrade-Absätze gehen also nicht wie bisher üblich von den Konsumenten aus, sondern von dem Handel. Und für die Produzenten sind eben auch diese Absätze äußerst wichtig. Dies bestätigte auch Austin Changazi auf der Preisverleihung, als er den International Fairtrade Award in der Kategorie Small Producer Organisation für den Sukambizi Association Trust aus Malawi entgegen nahm: „Fairtrade makes a difference for the producers in Africa.“

Ich freue mich über die Entscheidung der Jury und hoffe, dass Lidl sie als Ansporn sieht, den vor zehn Jahren eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Titel-Foto: Frank Nürnberger