Als ich vor zwei Monaten die Anfrage erhielt, ob ich an einer Reise zum Ursprung von Guaraná ins brasilianische Amazonasgebiet teilnehmen möchte, war meine erste Reaktion: na klar! – und meine zweite: Was genau ist überhaupt dieses Guaraná? Da ich mir die Chance, ob meiner Unkenntnis nicht entgehen lassen wollte, sagte ich erst mal zu…und fing an mich zu informieren.

„Auge des Waldes“

Schnell erfuhr ich, dass Guaraná den Indios im Amazonasgebiet seit Jahrhunderten bekannt ist und als rankender Strauch oder Liane wächst. Wenn sie reif ist, färbt sich die Kapselfrucht orangerot und öffnet sich teilweise, so dass die inneren Samen teilweise sichtbar werden.

Als ich die ersten Bilder von den Früchten sah, konnte ich nachvollziehen, warum sich so viele Legenden der indigenen Völker um sie ranken: Die aufgesprungene Frucht mit ihrem Samen darin wirkt wie ein Auge, wodurch sich der volkstümliche Beiname „Auge des Waldes“ ergibt.

Heute ist Guaraná vor allem wegen seiner koffeinhaltigen Samen beliebt. Diese finden zu Pulver gemahlen in vielen Erfrischungsgetränken Eingang. Was bei uns bislang nur in einigen Energydrinks der Fall ist, gehört in Brasilien zum Standard: Jeder vierte Softdrink in dem riesigen südamerikanischen Land ist mit Guaraná angereichert – der bekannteste ist Guaraná Antarctica.

Auch für unseren Partner koawach ist Guaraná elementar. Auf der Suche nach einer Kaffee-Alternative sind die Erfinder des Koffein-Kakaos bei den wachmachenden, feuerroten Früchten fündig geworden. Seitdem trifft bester fair gehandelter Bio-Kakao auf natürliches Guaraná und revolutioniert den Kakao-Drink-Markt.

Kein Fairtrade-Guaraná? Nicht mit koawach!

koawach legte von Anfang an Wert darauf, dass alle verarbeiteten Zutaten nicht nur biologisch angebaut, sondern auch aus fairem Handel stammen. Während es bei Kakao mittlerweile ein ausreichend großes Angebot von Fairtrade-zertifizierten Kooperativen gibt, stellte die Jungunternehmer aus Berlin der Bedarf an fair gehandeltem Guaraná vor eine Herausforderung: Trotz vorhandenem Fairtrade-Standard für Guaraná gab es bislang keine Fairtrade-zertifizierte Organisation im System. Was tun?

Daniel Duarte, Gründer und Geschäftsführer von koawach, berichtete mir im Vorfeld der Reise, dass sie mit ihrem bisherigen Guaraná-Produzenten „Agrofrut“ sehr zufrieden seien. Daher sei es für ihn selbstverständlich gewesen, gemeinsam mit dieser Kooperative die Anstrengung zu unternehmen um die Strukturen für einen Eintritt ins Fairtrade-System zu schaffen. Koawach übernahm die Kosten für die Zertifizierung und die Mitglieder von Agrofrut setzten alle Hebel in Bewegung um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zertifizierung zu erfüllen.

Im letzten Dezember waren es dann soweit: Nach einem Jahr der Vorbereitung, Umstrukturierung, Prozessoptimierung und externen Beratungen kam es zum Zertifizierungsaudit durch FLOCERT. Erfolgreich! Agrofrut ist seitdem die erste Fairtrade-zertifizierte Guaraná Kooperative weltweit. Und die haben wir im Mai 2019 besucht.

Die Lunge unserer Erde

Unsere Reise führt uns über São Paulo nach Manaus, mitten ins Herz des Amazonasgebietes. Als erstes beeindruckt die unglaubliche Weite und das Ausmaß des größten zusammenhängenden Regenwaldes der Welt. Ich fange an zu begreifen, warum diese Gegend als grüne Lunge unserer Erde bezeichnet wird. Allerdings ist der Schutz des Regenwaldes und seiner indigenen Bewohner unter der aktuellen brasilianischen Regierung stark gefährdet. Von oben aus dem Flugzeug ist dies schwer nachzuvollziehen – von dort sieht der Regenwald größtenteils intakt und unberührt aus.

Von Manaus geht es mit dem Bus weiter nach Itapiranga und schließlich mit dem Speedboot nach Urucará. Einfache Häuser, eine Kirche und unzählige Evangelikale Gemeinden kennzeichnen die beschauliche Kleinstadt, die direkt an einem Seitenarm des Amazonasflusses gelegen ist. Hier leben die Mitglieder von Agrofrut, denen wir das wachmachende Element in den koawach-Produkten verdanken.

Bei unserem ersten Treffen führt uns Antonio Carlos, der Präsident von Agrofrut, in die Entwicklung der Kooperative ein. In den 1980er haben sie den Guaraná-Anbau für sich entdeckt. Nach einer Krise in den 1990er spezialisierten sie sich auf Bioanbau und ließen sich 2007 zertifizieren. Seitdem sind die Abnahmemengen stabiler und die Erlöse für ihr Guaraná besser: Für Bio-Guaraná erhalten die Bauern 25 Real/kg (entspricht ca. 5,60€). Die Preise für konventionelles Guaraná liegen derzeit bei 14-18 Real/kg. Durch den Erfolg der letzten Jahre wollen immer mehr Bäuerinnen und Bauern der Region Agrofrut beitreten und so verdoppelte sich die Anzahl der Mitglieder in den letzten Jahren auf aktuell 65. Letztes Jahr ernteten sie gemeinsam 36 Tonnen Guaraná. Wenn es dieses Jahr ausreichend regnet, erwartet die Kooperative dank neuer Mitglieder und optimierter Anbaumethoden sogar bis zu 50 Tonnen – erstmals fair produziert. Finanziell bedeutet der Absatz über den fairen Handel für die Kooperative: 50 Cent extra pro Kilo. Einnahmen, die auf ein separates Konto fließen und mit denen Projekte realisiert werden können, die allen Mitgliedern zugutekommen.

Fairtrade als Prozess

Es war mir bewusst, dass wir bei einem so neuen Mitglied im Fairtrade-System wie Agrofrut noch keine umgesetzten Fairtrade-Prämien-Projekte, wie Schulen, Krankenhäuser oder neue Straßen sehen werden.

Daher sprachen wir viel über die Herausforderungen bei der Zertifizierung und die Ziele fürs kommende Jahr, wenn sie erstmals Projekte dank der Fairtrade-Prämie umsetzen können. Am schwierigsten war es für die Kooperative, eine professionellere Buchführung einzuführen, alle Prozesse transparenter für alle Mitglieder zu gestalten und zu dokumentieren.

Auch musste ein Prämienplan erstellt werden. Also ein Plan, der skizziert, in welche Projekte die Mehreinnahmen aus dem fairen Handel fließen sollen und über dessen Ziele auf der Generalversammlung alle Mitglieder gemeinschaftlich mitentscheiden. An Ideen mangelt es den Kleinbäuerinnen und -bauern aber nicht. Die Liste ist lang. Als erstes sollen Bildungsprojekte ermöglicht werden, sowohl für die Bäuerinnen und Bauern in Anbautechniken als auch in Form von Stipendien für die eigenen Kinder.

Bei meinem Vortrag, indem ich das Fairtrade-System und unsere Arbeit in Deutschland versucht habe zu erklären, war ich überrascht, wie gut alle schon über Fairtrade Bescheid wussten und wie viele Detailfragen es gab. Vor allem an einer engeren Zusammenarbeit mit der CLAC, dem lateinamerikanischen Fairtrade-Produzentennetzwerk waren sie interessiert. Oder auch, wie sie ihr Pulver mit Fairtrade-Siegel auf dem heimischen brasilianischen Markt vertreiben können.

Aber neben den ökonomischen Vorteilen durch die Fairtrade-Zertifizierung profitieren die Kleinbäuerinnen und -bauern jetzt von einem besseren Informationsaustausch untereinander, einer stärkeren Verhandlungsposition gegenüber ihren Abnehmern des Guaranás und einem gewachsenen Selbstbewusstsein unter den Mitgliedern. Und davon durften wir uns während unseres Besuchs persönlich überzeugen: Dariu, Jose, Clicia und Odielio nahmen sich die Zeit um uns ihre Geschichte zu erzählen.

Die Menschen von Agrofrut

Dariu ist ein alter Hase bei Agrofrut. Er hat die Kooperative vor 17 Jahren mit aufgebaut und ist Sinnbild für den Fortschritt: Seitdem er sich auf den Guaraná-Anbau konzentriert, konnte er seine Ernte vervierfachen. Mittlerweile bewirtschaftet er 7 Hektar und kümmert ich mit seiner Familie bei der Ernte um den gesamten Prozess: Pflücken, Waschen, Fermentierung, Trennung der Samen von der Schale, waschen der Samen und schließlich die Röstung der Samen ehe sie in der Kooperative gesammelt werden und entweder exportfertig gemacht werden oder zu Pulver für den lokalen Markt verarbeitet werden.

Eine neue, junge Generation von Guaraná-Bauern verkörpert José. Er ist 31 Jahre, Vater von zwei Kindern und stolzer Besitzer von zwei Hektar Land. Vor einigen Jahren stand er vor einer wegweisenden Entscheidung: Da sich der Guaraná-Anbau für ihn als einzenen Bauern nicht mehr rentierte, stellte er sich die Frage, ob er in der Hoffnung auf ein besseres Einkommen in die Millionenmetrople Manaus auswandern müsse oder, ob er mit seiner Familie hier in Urucará weiter im Einklang mit der Natur leben könne. Freunde machten ihn auf die Kooperative Agrofrut aufmerksam. Nach ersten Gesprächen mit Vertretern von Agrofrut stellte José prompt einen Mitgliedsantrag. Seitdem lebt er seinen Traum als Guaraná-Bauer weiter – und konsumiert auch tägliche eine Portion –  etwa acht geröstete Samen – um die nötige Energie für den Tag auf dem Feld als auch für die Nacht, wenn Feste mit Freunden und Familie anstehen, zu haben.

Clicia hat mich auf unserer Reise am meisten beeindruckt. Die junge Mutter ist bei Agrofrut für den technischen Bereich verantwortlich. Gleichzeitig pflegt sie ihr eigenes Feld mit so viel Liebe und einem wahren Feuerwerk an verschiedenen Pflanzen und Früchten wie Açai, Acerola, Mangos, Andiroba, Maniok, Abacá, Kakao und viele, viele mehr. Sorgen bereiten ihr die Auswirkungen des Klimawandels. Im letzten Jahr hatte es kaum geregnet, die Trockenzeit war viel länger als erwartet.

Gegenseitiges Vertrauen und wissen, was der andere tut

Glücklicherweise konnten sie als Kooperative dieser Entwicklung bislang ganz gut entgegenwirken – beispielsweise mit besseren Bewässerungssystemen und sogar einem modernen Aquaponik-Projekt, das Clicia mit initiiert hat und ihr viel Freude bereit. Ihr großer Traum ist es allerdings irgendwann einmal mit ihrer Familie in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Als sie mir Bilder davon zeigt, kann ich sie gut verstehen: Alter do Chão – ein paradiesischer Ort mit vielen Inseln, klarem Wasser und Sandstränden – die kleine Karibik mitten im Amazons. [Ein ausführlicheres Portrait von Clicia findet Ihr auch bei watson.de]

Clicias Mann, Odielio, leitet die Produktion bei Agrofrut. Er war sogar schon einmal in Deutschland: Auf Einladung von Daniel besuchte er vor drei Jahren die BioFach in Nürnberg und reiste anschließend ins Büro von koawach, damals noch in Köln. In Odielios und Clicias Küche hängt neben einigen Familienbildern ein Foto von Odielio und Daniel, im Hintergrund der Kölner Dom. Dass den Guaraná-Kleinbauern in Urucara und den StartUp-Gründer aus Berlin (und urspünglich aus Kolumbien) mehr verbindet als das reine Geschäft ist offensichtlich. Beim gemeinsamen Abendessen, zu dem die beiden die ganze Reisegruppe zu sich nach Hause eingeladen hatten, bringt Odielio sehr gut auf den Punkt, was für ihn Fairtrade ausmacht: Gegenseitiges Vertrauen und wissen, was der andere tut.

Schokoladig, fair & revolutionär

Nach knapp einer Woche heißt es für uns Abschiednehmen. Wahnsinnig eindrucksvolle Tage mitten aus dem brasilianischen Regenwald gehen zu Ende. Tage, die uns auf Grund des heiß-feuchten Klimas an die Grenzen unserer Belastbarkeit führten. Das aber ist schnell vergessen. Hängen bleiben werden viel eher das Grün einer so intakten, ausufernde Natur und ihre Menschen. Menschen, wie Clicia, Dariu und Josè, deren Guaraná wir in den verschiedenen koawach-Produkten täglich genießen können. Und nicht nur das: Wir kennen ihre Geschichte, wissen um ihre Träume und bieten ihnen mit unserem Konsum eine Perspektive!

Auf der Rückfahrt nach Manaus fasst Daniel seine Vision von koawach nach unserer eindrucksvollen Expedition noch einmal ganz passend zusammen.

„Wir wollen eine schokoladige Alternative zu Kaffee sein. Wir wollen einen leckeren, wachmachenden Kakao herstellen, der Menschenleben verändert: Das Leben der Menschen, die ihn trinken, in Deutschland oder Europa, aber auch das Leben der Menschen, die das Guaraná oder den Kakao anbauen. Deshalb ist es uns so wichtig nicht nur schokoladig, fair, sondern auch revolutionär zu sein!

Für mich als Online-Redakteur bei Fairtrade Deutschland bleibt am Ende der Reise die Erkenntnis: Unternehmen, die Fairness als Berufung auserkoren haben und Produzentinnen und Produzenten, die als Kooperative brillieren um ihre Individuen strahlen zu lassen, sind eine unschlagbar gute Kombination. Eine Kombination, für die es sich zu arbeiten lohnt. Viva koawach, viva Agrogfrut, viva Fairtrade!

 

Ein Tipp zum Schluss:

Ganz herausragende Bilder von der Reise findet Ihr auf der Seite von Madlen Krippendorf, die als Fotografin für watson.de an der Expedtion teilgenommen hatte: https://krippendorfphotography.pixieset.com/brazil/smartset/