Heute stellen wir euch Näher Nilesh Kamli aus Gujarat vor. Der 40-Jährige arbeitet in der Fairtrade-zertifizierten Textilfabrik Purecotz Ecolifestyle nahe der indischen Westküste in der Kleinstadt Umargam.

Nilesh bei der Arbeit in den Purecotz-Gebäuden. Bild: Ranita Roy

Über 500 Nähmaschinen laufen bei Purecotz jeden Tag auf Hochtouren und verwandeln Stoffbahn um Stoffbahn in Kleidung. Ausschließlich fair gehandelte und ökologisch angebaute Baumwolle wird hier verarbeitet. Zu den Kunden der Textilfabrik zählt das Kasseler Fair Fashion-Unternehmen und Fairtrade-Partner Melawear. Nilesh Kamli ist einer von rund 1000 Mitarbeitenden. Der 40-Jährige kümmert sich um die Herstellung von Prototypen, sogenannter Samplings.

Arbeit statt Schule

Seit er 17 Jahre alt ist, arbeitet Nilesh in der Textilindustrie. Um seine Familie finanziell unterstützen zu können, übernahm er früh Verantwortung: „Meine Mutter war Alleinverdienerin und mein älterer Bruder hat eine Behinderung. Also habe ich die Schule verlassen und einen Job in der Näherei angenommen.“

Nilesh Schwägerin Jagruti bringt den 9-jährigen Vansh zur Schule. Bild: Ranita Roy

Seither hat sich die Situation der Familie deutlich gebessert. Heute leben die Kamlis in einem orangefarbenen Steinhaus samt einer kleinen überdachten Veranda. Selbst fließendes Wasser gibt es – keine Selbstverständlichkeit in Indien. Auf dem gepflasterten Vorhof hängt Wäsche und trocknet in der Sonne. Neben seiner Ehefrau Chetna, Mutter Dhamyanti und dem älteren Bruder leben auch Nileshs verwitwete Schwägerin und der 8-jährige Neffe Vansh im Haus. „Ich kümmere mich um ihn wie um einen eigenen Sohn“, sagt der Näher.

„Mein Chef ist ein guter Mensch“

Vom Wohnhaus sind es rund zwanzig Autominuten zur Fabrik. Auf dem Motorrad fahren Nilesh und seine Frau Chetna jeden Morgen zur Arbeit. Fabrikbesitzer und CEO von Purecotz ist Amit Narke, ein Unternehmer aus Mumbai. „Mein Chef ist ein guter Mensch“, erklärt Nilesh. „Obwohl ich keine umfassende Ausbildung habe, hat er mir die Verantwortung für die gesamte Abteilung übertragen.“ Auch sonst unterscheidet sich die Fabrik von anderen: „Alle sind sehr diszipliniert und die Gehälter werden pünktlich bezahlt. Das war bei meinem vorherigen Arbeitgeber anders“, erzählt er. Auch während der Pandemie wurden die Arbeiter*innen unterstützt. Als die gesamte Fabrik für ein paar Tage schließen musste, erhielten sie weiterhin Geld.

Nilesh bei der Näharbeit. Bild: Ranita Roy

In vielen Teilen Indiens waren Arbeiter*innen während des Lockdowns auf sich allein gestellt. Dabei sind die Gehälter in der Textilbranche ohnehin gering, sodass ein Sparen für Notlagen in der Regel nicht möglich ist.

Nächstes Ziel: Existenzsichernde Löhne

Obwohl es in Indien gesetzlich geregelte Mindestlöhne gibt, sind viele Arbeiter*innen auf Überstunden angewiesen. Um die Gehaltsstruktur zu verbessern, arbeitet Purecotz mit Partnern wie Melawear und Fairtrade zusammen. Seit 2020 ist die Näherei nach dem Textilstandard zertifiziert, mit dem Fairtrade die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie verbessern will. Das bedeutet, Angestellte wie Nilesh werden stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden und erhalten langfristig einen besseren Lohn, ein sogenanntes „Living Wage“. Dieses deckt nicht nur die Kosten für Lebensmittel und Miete, sondern ermöglicht Investitionen in Bildung oder Gesundheit sowie das Sparen für Notlagen.

Nilesh sammelt Holz in der Nähe seines Hauses. Bild: Ranita Roy

Ein notwendiger Schritt, findet Nilesh: „Ich mag meinen Job sehr, aber um etwas zur Seite legen zu können, müsste das Gehalt höher sein“, erzählt er. Ein Wunsch, der spätestens 2026 in Erfüllung gehen dürfte. Denn laut Fairtrade-Standard müssen alle Angestellten der Textilfabrik binnen sechs Jahren ein solches Gehalt erhalten – unabhängig von ihrer Tätigkeit.