Einen Monat lang tausche ich den deutschen Winter gegen südafrikanischen Sommer ein und unterstütze das Team von Fairtrade Africa, eines der drei großen Produzentennetzwerke von Fairtrade, in Kapstadt. Auf dem Blog berichte ich von meiner Reise in den Ursprung von fairem Wein, Zucker und Vanille und vom Arbeitsalltag am südlichsten Ende Afrikas.

Woche eins | Als ich am Montagmorgen zu Fuß zum Büro laufe, scheint die Sonne. Der Wind ist kühl, der südafrikanische Sommer lässt auf sich warten. Das Büro liegt in einem Hinterhof im ersten Stock. Eine Haustür und zwei Gittertüren halten potenzielle Eindringlinge ab – Normalität in Kapstadt. An einer der Bürowände prangt eine riesige grau-schwarze Weltkarte. Nur wenige der afrikanischen Staaten wie Südafrika, Swasiland, Sambia, Zimbabwe, Mosambik, Malawi und Madagaskar sind bunt gehalten. „Damit wir nicht vergessen, für wen wir das hier machen“, schmunzelt Zachary Kiarie, Regionalleiter von Fairtrade Southern African Network, als er meinen Blick sieht. Dabei gibt es doch keine bessere Erinnerung als die Arbeit vor Ort, denke ich. Eine Tatsache, um die ich die Kolleg*innen in Südafrika beneide. Sie treffen die Menschen, um die es bei Fairtrade geht, kennen ihre Sorgen und Träume und erleben Tag für Tag, welchen Unterschied ihre Arbeit macht. In Deutschland sammeln wir all die Informationen, fassen sie zu Geschichten zusammen und geben sie weiter – secondhand sozusagen. Die Neugierde ist daher groß: Wie verändert es meine Arbeit, meine Sichtweise, wenn ich die Möglichkeit bekomme, nicht nur über, sondern mit den Menschen zu sprechen? Wie unterscheidet sich unsere Arbeit von der vor Ort? Was können wir verbessern, wenn wir einander noch besser verstehen?

Theorie und Realität – manchmal passt der Tafelberg dazwischen

Ein paar Antworten bekomme ich noch während meiner ersten Woche. Für eine lokale Organisation, die sich für die Rechte der Arbeiterinnen im Weinanbau einsetzt, veranstalten wir eine Trainingseinheit zu den Fairtrade-Standards, dem Regelwerk des fairen Handels. Im Nachhaltigkeitsinstitut in Stellenbosch, circa 30 Autominuten von Kapstadt entfernt, treffen wir zwanzig Frauen der Organisation „Women on Farms“. Viele der Frauen haben selbst als Erntearbeiterinnen auf Kapstadts Weinfarmen gearbeitet und kennen die Industrie gut, einige arbeiten noch immer dort. Mit der Organisation besuchen sie unterschiedliche Betriebe (nicht zertifizierte Betriebe genauso wie Fairtrade-Weingüter), klären Frauen über ihre Rechte auf und dokumentieren Missstände.

Viele Weinpflückerinnen würden bei der Ernte Handtücher oder Schals um die Hüfte tragen, erzählt eine der Seminarteilnehmerinnen. Wenn sie zur Toilette müssen, hocken sie sich zwischen die Reben und schützen sich mit den Tüchern vor fremden Blicken. Dabei gäbe es Sanitäranlagen. Diese würden jedoch so weit auseinanderliegen, dass sie für die Frauen unmöglich zu Fuß erreichbar seien. Eine Tatsache, die eindeutig nicht für alle Weingüter gilt, aber ein grundsätzliches Problem offenlegt: Viele Farmen umgehen festgeschriebenes Recht, zum Leid der Arbeiter*innen.

Regeln sind gut, Kontrolle ist besser

Während die Fairtrade-Standards erklärt werden, geht immer wieder ein Raunen durch den Seminarraum. Den Frauen der Organisation war nicht klar, wie umfangreich die Richtlinien sind. Dass die Fairtrade-Prämie beispielsweise den Arbeiter*innen und nicht der Farmleitung zusteht und dass Saisonarbeiter*innen gegenüber festen Arbeitskräften nicht benachteiligt werden dürfen. Die Standards sind streng und ohne Frage die große Stärke von Fairtrade. Doch schnell wird klar, dass einige Arbeiter*innen die Regeln kaum kennen. Hinzu kommt fehlendes Vertrauen. Wenn Mitarbeiter*innen von Fairtrade oder Auditor*innen von Flocert die Farmen besuchen, trauen sich die Arbeiter*innen teilweise nicht, Kritik zu üben oder Missstände zu melden. Wir erfahren von einem Prämienprojekt, einem Computerraum für Arbeiter*innen, den diese nicht betreten dürfen. Bei offiziellen Anlässen präsentiere die Farmleitung den Raum stolz. Dass die Arbeiterinnen ihn nicht nutzen dürfen, erfährt dabei niemand. Zum ersten Mal hören die Frauen, dass sie solche Missstände dokumentieren müssen, um sie anschließend zu melden. „Vielleicht ist es ein Problem mit der Gebäudeverwaltung und gar nicht mit der Farmleitung. Manchmal sind es auch Unstimmigkeiten zwischen den Arbeiter*innen“, erklärt meine Kollegin Athenkosi, Projektleiterin bei Fairtrade Southern African Network. „Wichtig ist, dass die Arbeiter*innen solche Vorfälle notieren und zur Sprache bringen, wenn die Farmen kontrolliert werden.“

Frauen sitzen in einem Seminarraum und lauschen einem Vortrag.

Zachary Kiari, Regionalleiter von Fairtrade Africa, erklärt die wichtigsten Regeln zum Schutz der Arbeiter*innen.

Eine der älteren Frauen der Runde – ich schätze sie auf etwa sechzig – hebt die Hand. Sie trägt eine schmale Brille und ein Tuch um den Kopf, dazu einen knallgelben Rock und ein violettes T-Shirt mit der Aufschrift „Break the Silence – Support Women’s Rights“. Als sie zu Wort kommt, steht sie auf: „Die meisten Arbeiter*innen vertrauen euch nicht“, sagt sie. Noch bevor sie weitersprechen kann, nickt meine Athenkosi zustimmend: „Genau das ist der springende Punkt. Wenn wir fragen, ob es Probleme gibt, heißt es, alles sei gut.“

Chancengleichheit?

Das Schweigen vieler Arbeiter*innen macht das Trauma einer ganzen Gesellschaftsgruppe deutlich. Knapp dreißig Jahre nach dem Ende der Apartheid herrscht noch immer ein großes Machtgefälle zwischen den meist weißen Arbeitgeber*innen und ihren Arbeitnehmer*innen, gerade im Weinanbau. Die Rassentrennung ist Geschichte, aber von Chancengleichheit kann keine Rede sein – Hautfarbe und Herkunft spielen in Südafrika nach wie vor eine große Rolle. Für die körperliche Arbeit in den Weinbergen, das Pflücken der Trauben, sind ausschließlich schwarze oder coloured people zuständig. Die Leitungsfunktionen, die besseren Jobs, werden dagegen von Weißen besetzt. Es gibt kaum schwarze Winzerinnen. Die wenigen, die es gibt, besitzen meist kein eigenes Land. Nur eine einzige hat es in Südafrika geschafft und sich in der Industrie einen Namen gemacht: Die 41-jährige Ntsiki Biyela. Zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid wurde sie als erste schwarze Frau leitende Winzerin eines Weinguts.

Drei Frauen stehen vor einer Gruppe und halten ein Poster hoch.

Nacheinander stellen die Gruppen ihre Ergebnisse vor.

Train The Trainer

Die Frau im gelben Rock fährt fort: „Vielleicht vertrauen die Arbeiter*innen euch nicht, aber sie vertrauen uns. Warum schult ihr uns also nicht und wir geben das Wissen weiter?“ Die anderen Frauen im Raum nicken zustimmend, einige klatschen in die Hände oder klopfen auf die Tische. Während im Raum darüber diskutiert wird, wie eine solche Zusammenarbeit aussehen könnte, muss ich an die Begrüßung zu Beginn des Trainingstages denken. Auf einer PowerPoint-Folien stand:

„To complement each others work, we have to understand it first“

Zu Deutsch: „Um die Arbeit des Anderen zu ergänzen, müssen wir sie zuerst verstehen.” Das gilt auch für die eigene Arbeit, denke ich. Obwohl ich seit über einem Jahr bei Fairtrade arbeite und eine Menge über die Standards weiß, verstehe ich sie nach dem heutigen Tag besser. Ich verstehe, dass es nicht nur ein gutes Regelwerk und eine strenge Kontrolle braucht, sondern Menschen vor Ort, die nicht müde werden, die Arbeiter*innen aufzuklären. So lange, bis sie ihre Rechte selbst vertreten können. Und ich verstehe, dass es dazu Multiplikatoren braucht: Neben Menschen, die fair gehandelte Produkte im Supermarkt kaufen und Gesetze, die fairen Handel stärker fördern, brauchen wir Organisationen wie „Women on Farms“, die uns vor Ort unterstützen. Nur so können wir ein Umdenken erreichen – im Handel, aber vor allem im Selbstverständnis der Arbeiter*innen.