Der Enthusiasmus bei den Nachwuchsbäuerinnen und -bauern ist groß. Gemeinsam mit den Promotor*innen des Projekts und dem Projektteam in einem erneuerten Kaffeegarten der Kooperative Alto Sajama, Caranaví, Bolivien © Fairtrade 2019

Nachwuchsbauern und -bäuerinnen in Bolivien kämpfen für ihre Zukunft

Geschrieben von Bettina von Reden

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Vom 22. bis 25. April 2019 besuchte ich Kaffeebäuerinnen und -bauern aus acht Fairtrade-zertifizierten Kooperativen in der Region Caranaví in Bolivien. Der Binnenstaat gehört zu den ärmsten Ländern Südamerikas. Zweck meiner Reise: Die Ergebnisse und Wirkungen eines Projekts zu überprüfen, das wir – TransFair – gemeinsam mit dem lateinamerikanischen Fairtrade-Netzwerk CLAC, dem bolivianischen Fairtrade-Netzwerk und Lidl in den letzten drei Jahren umgesetzt haben.

Der Kaffeerost vernichtet alte Kaffeepflanzen

Der Klimawandel macht sich auch in Bolivien bemerkbar. Beispielsweise in einem kleinen, unscheinbaren Pilz, der sich rasant vermehrt – der Kaffeerost. Innerhalb kürzester Zeit kann er ganze Kaffeepflanzenbestände zum Absterben bringen und damit Existenzen vernichten. So geschehen in der Region Caranaví. Lidl unterstützte uns dabei, um acht bolivianische Kaffeekooperativen wieder auf die Beine zu helfen, die vom Kaffeerost betroffen waren. Unzählige Familien gaben den Kaffeeanbau auf, zogen weg oder stiegen auf den Anbau mit Coca um. Viele Kooperativen lösten sich auf. Die Übriggebliebenen sahen sich massiven Schwierigkeiten gegenüber: Wie sollten sie die bestehenden Verträge erfüllen? Woher sollten sie das Geld für neue Kaffeepflanzen nehmen und wer gab ihnen die Garantie, dass die jungen Pflanzen nicht auch vom Kaffeerost befallen werden? Ein weiteres Problem war auch das Wissen um den richtigen Anbau. Die meisten Familien leben erst seit zwei bis drei Generationen in der Region Caranaví. Sie sind im Zuge eines Umsiedlungsprojekts der Regierung vom überbevölkerten Hochland hierhergekommen, haben ein Stück Land erhalten und es kultiviert. Der Kaffeeanbau folgte nach dem Learning-by-doing-Prinzip. Manche Familien kehrten wieder in ihre Heimatdörfer zurück und kamen nur zur Kaffeeernte hier her. Investieren, Pflegen, Düngen oder das Pflanzen von neuen Kaffeebüschen war in diesem System nicht vorgesehen. Die geschwächten, überalterten Pflanzen waren entsprechend anfällig für Krankheiten und Schädlinge und brachten schon lange keine guten Ernten mehr ein. Trotzdem behielt der Kaffee aufgrund seiner typischen Sorten, des passenden Klimas und der Höhenlage seine Qualität und lieferte ausreichende Einnahmen, um in dieser armen Region als wichtiger Wirtschaftszweig zu bestehen. Bis der Kaffeerost kam, sich explosionsartig ausbreitete und der bisherigen Anbaumethode ein jähes Ende bereitete. Die Frage war also, wie kann dem Kaffeeanbau neues Leben eingehaucht werden? Obwohl viele Familien zwischenzeitlich auch Mais oder Zitrusfrüchte anbauten, reichten die Einnahmen nicht für einen vernünftigen Lebensunterhalt. Auch wenn der Anbau von Coca in kleinen Mengen legal ist, bietet er auch keine wirtschaftliche Alternative. Kaffee ist das einzige Produkt, um den Menschen in dieser Region ein sicheres Einkommen zu ermöglichen.

Neustart mit dem Nachwuchs

2017 setzten sich die Kolleg*innen des lateinamerikanischen Netzwerks der Kleinbauern und Arbeiter des Fairen Handels (CLAC) mit den Kooperativen und dem nationalen bolivianischen Fairtrade-Netzwerk zusammen und entwickelten ein Projekt: Nachwuchsbäuerinnen und -bauern sollten Know-how erhalten, wie sie ihre Kaffeefelder erneuern konnten. Sie sollten Gute landwirtschaftliche Praktiken, Führungsfähigkeiten und Techniken erlernen, um ihre Kooperativen wiederaufzubauen und ihnen einen Weg in die Zukunft zu ebnen. In jeder Kooperative richteten Bäuerinnen und Bauern ein Demonstrationsfeld ein. Außerdem bildete die CLAC 30 Promotor*innen aus, damit diese das Erlernte an 10 weitere Mitglieder ihrer Kooperativen weitergeben.

Demonstrationsfelder im zweiten Jahr bereits mit Ernte

4 bis 5 Stunden Autofahrt über schlechte Straßen bringen mehrere Kolleg*innen der CLAC, des nationalen bolivianischen Netzwerks CNCJ-Bolivia und mich von La Paz nach Caranaví. Ich bin froh, endlich der Höhe von knapp 4.000 Meter zu entkommen, die mir direkt nach dem Flug aus Deutschland doch sehr zu schaffen machte.

Nun also sind wir mitten im Herzen des bolivianischen Kaffeeanbaus, nicht weit von der peruanischen Grenze. Während sich in Caranaví noch einmal alle Promotor*innen gemeinsam mit den CLAC-Kolleg*innen treffen und eine Evaluierung der letzten zweieinhalb Jahre durchführen, besuche ich gemeinsam mit dem Projektkoordinator Manuel Cordova zunächst die nahe gelegene Kooperative COAINE und die dortigen Promotoren Apolinar Garcia und Alfredo Peralta. Nahe gelegen heißt, dass wir nur 1,5 Stunden auf Schlamm- und Schlaglochstraßen in den Bergen unterwegs sind, um sie zu erreichen. Apolinar erklärt uns in allen Einzelheiten, welche Maßnahmen er in den letzten Jahren in dem von ihm betreuten Demonstrationsfeld ergriffen hat. Angefangen von der Auswahl guten Saatgutes über die Anzucht und Auspflanzung von Setzlingen, das Schattenmanagement mit geeigneten Bäumen, die Bio-Düngung, Schädlingskontrolle bis hin zur Konturpflanzung (Terrassenpflanzung), um die Pflanzen besser mit Nährstoffen und Wasser zu versorgen und eine größtmögliche Dichte zu ermöglichen sowie möglichst viel Kaffee zu ernten. Das Demonstrationsfeld ist beeindruckend. Bei der Abschlussveranstaltung am nächsten Tag drückt es eine Rednerin so aus: „Wenn ich hier durch die Gegend fahre, erkenne ich sofort jedes Feld, das im Rahmen des Projekts erneuert wurde.“

Einführung von Agroforstsystemen

Für den Laien sehen neu angelegte Demonstrationsfelder furchterregend aus. Denn sie sind komplett gerodet. Das muss so sein, um neue Konturen anlegen und neue Kaffeesträucher pflanzen zu können. Im zweiten Jahr stehen die neuen Kaffeesträucher unterschiedlicher Sorten im vollen Saft, immer wieder unterbrochen von den jungen Schattenbäumen heimischer Sorten. Das Projekt hat innerhalb des ersten Jahres die Lokalregierung bereits so überzeugt, dass sie zusätzlich Hunderte Setzlinge heimischer Baumarten spendete. In ein paar Jahrzehnten werden die Bäuerinnen und Bauern das Holz als zusätzliche Einnahme vermarkten können. Zudem dienen die Schattenbäume als blühende Insektenweiden oder tragen Früchte, die sich verkaufen lassen. Die Promotor*innen haben im zweiten Jahr außerdem unterschiedliche Sorten von Hülsenfrüchten gepflanzt. Sie besitzen viele Vorteile: Einerseits verbessern sie den Boden, in dem sie beispielsweise Stickstoff aus der Luft binden andererseits . Außerdem bieten ihre Früchte zusätzliche Nahrungsmittel für die Familien. Und noch etwas ist relevant: Die Bäuerinnen und Bauern waren anfangs überzeugt, dass die alten Felder pilzverseucht und ausgelaugt sind auf denen keine Kaffeeernte mehr möglich sei. Gerade die älteren Kooperativenmitglieder waren ausgesprochen skeptisch und trauten weder den Jungen, noch sich selbst zu, die Probleme zu lösen. Der Projektkoordinator überzeugte sie jedoch, dass mit der richtigen Pflege und den richtigen Maßnahmen die alten Felder wieder gute Erträge liefern würden – die Ergebnisse haben mittlerweile alle überzeugt und von Zweifeln ist nun nichts mehr zu spüren.

Replikation des Gelernten

Beim zweiten Promotor von COAINE, Alfredo Peralta, sehen wir direkt, wie überzeugt er von den neuen Maßnahmen ist. Zusätzlich zu den 0,25 Hektar, bei dem ihm das Projekt geholfen hat, hat er mit seiner Frau Lidia einen weiteren Viertelhektar nach den neuen Prinzipien angelegt und ein weiterer ist in Vorbereitung. Ende des Jahres will er zwei Hektar seines insgesamt 10 Hektar großen Landes nach den neuen Vorgaben bearbeitet haben. Das entspricht dem, was er und seine Familie bewirtschaften können. Auf dem Rest bleibt Wald stehen oder wachsen Mais, Kartoffeln, Gemüse und Früchte für den Eigenbedarf. Auch die von Alfredo betreuten Nachbarn haben bereits mit der Erneuerung ihrer Felder begonnen. Ziel der Kleinbauernfamilien ist es einerseits die Böden und Pflanzen besser zu pflegen und zu betreuen, anderseits ihre Flächen nach und nach zu erneuern. Nach 10 bis 15 Jahren lohnt es sich, die Kaffeepflanzen auszutauschen. Auf diese Weise verbessert sich die Vitalität der Pflanzen und die Sträucher sind weniger anfällig für die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels. So ist die Dichte der Kaffeekirschen an den Sträuchern bereits schon nach zwei Jahren beeindruckend hoch. Erstmals seit mehreren Jahren wird die Kooperative COAINE dieses Jahr wieder Kaffee exportieren.

Evaluierungsworkshop zeigt Projekterfolge und weiteren Unterstützungsbedarf

Am Nachmittag nehmen wir an der Zusammenfassung und Auswertung des internen Evaluierungsworkshops der Promotor*innen teil. Aspekte, die ihnen besonders wichtig sind, sind beispielsweise die starke Veränderung ihrer Rolle in den Kooperativen und das Vertrauen, das ihnen mittlerweile entgegengebracht wird. Außerdem der partizipative Projektaufbau, in dem sie zu jedem Zeitpunkt alle Entscheidungen mitentwickelt und mitgetragen haben. Trotz der Erfolge ist aber auch klar, dass noch viele Herausforderungen vor ihnen stehen.

Weitere Mitglieder der Kooperative müssen geschult werden, die Genossenschaften müssen sich wirtschaftlich erholen, Verträge mit Kunden müssen erneuert werden. Zudem gibt es noch viele weitere gute landwirtschaftlichen Praktiken, die im Rahmen des Projekts bisher noch nicht angegangen werden konnten, da sie höhere Investitionen benötigen. Beispielsweise den Bau von Kompostieranlagen, die Herstellung von eigenem Dünger, Investitionen in die Logistik und Vermarktung und noch vieles mehr. Das bolivianische Fairtrade-Netzwerk will sich daher gemeinsam mit den Kooperativen nach weiterer finanzieller Unterstützung umsehen. Im Vergleich mit Kaffeekooperativen, die ich in anderen Ländern besucht habe, können diese Genossenschaften noch weitere Unterstützung gebrauchen.

Schwierige Anreise zur feierlichen Abschlusszeremonie

Nach zwei Tagen Projektevaluation steht schon der feierliche Projektabschluss bei der Kooperative Alto Sajama an, die 2 Autostunden entfernt liegt. Der Weg ist noch schlechter als am Vortag, zudem hat es heftig geregnet. Mehrfach müssen wir aussteigen, damit das Auto eine Chance hat, die steilen Hänge empor zu kriechen. Einmal rutscht es seitlich Richtung Abgrund und muss von mehreren Leuten zurück auf die Straße geruckelt werden – ein ordentlicher Schreck auch für den erfahrenen Fahrer. Auf dem Rückweg haben wir prompt eine Reifenpanne. Diese Erfahrung zeigt mir nochmal, welche enormen infrastrukturellen Hindernisse die Kooperativen zu überwinden haben, um einfachste Dinge – wie einen Besuch – zu leisten.

 

Neue Hoffnung

Trotz der schwierigen Straßenverhältnisse sind bei der Abschlussfeier alle da: Die Präsidenten der Kooperativen, alle Promotor*innen und viele weitere Mitglieder der acht Kooperativen, unser komplettes Reiseteam, dazu zwei Vertreterinnen der Bezirksregierung, die zum einen bei der feierlichen Urkundenvergabe an die Promotor*innen helfen, zum anderen die Projektanstrengungen begrüßen und die Kaffeekooperativen einladen, sich noch stärker in die Gestaltung der Region einzubringen. Hierfür gibt es bereits Beispiele: So hat die Regionalverwaltung in Caranaví ein Frauenrat gegründet, zu dem die Kooperativen zur Teilnahme aufgerufen sind. Verschiedene Kooperativenpräsidenten und Mitglieder sowie der Projektkoordinator berichten vom Verlauf, den Herausforderungen und Erfolgen des Projekts. Auch ich muss auf Spanisch eine Rede halten und bringe das einigermaßen gut hinter mich. Gemeinsam besichtigen wir das Demonstrationsfeld Alto Sajama und vergeben schließlich Preise für jeweils sechs besonders engagierte Promotor*innen ebenso an sechs Produzent*innen, die am eifrigsten bei den Replikationen – den Kursen – teilgenommen haben. Die Kinder der örtlichen Grundschule – teilfinanziert aus Fairtrade-Prämien – haben einen Freudentanz einstudiert, eine traditionelle Band spielt und schließlich werden wir alle an den Händen genommen für einen langen Tanz. Der bolivianische CLAC-Berater Tito Medrano arbeitet seit vielen Jahren als Berater und kennt viele Kooperativen. Aber auch er ist erstaunt, mit welcher Begeisterung die Kooperativen die Herausforderungen nun annehmen und welche psychologische Veränderung das Projekt gebracht hat. Der Glaube, dass die Zukunft besser sein wird als die vergangenen Jahre, ist mit Händen zu greifen.

Rückkehr nach La Paz

Leider müssen wir noch am selben Abend zurück nach La Paz, da in den nächsten Tagen die Vollversammlung aller Fairtrade-zertifizierten Kleinbauernkooperativen Boliviens ansteht. Dank der bereits oben erwähnten Reifenpanne ist es bei Ankunft in La Paz fast Mitternacht. Ein Tag bleibt mir noch, um das Abschlusstreffen mit dem nationalen Netzwerk vorzubereiten. Was sind die weiteren Pläne der bolivianischen Kolleginnen und Kollegen? Wie sieht die Situation mit anderen Fairtrade-Produkten wie Kakao oder Quinoa aus? Susy Pinos von der CLAC und ich nutzen eine Fahrt mit der Gondel, die in La Paz seit einigen Jahren den öffentlichen Nahverkehr umweltschonend revolutioniert, um unsere Projekte zu besprechen. Die Aussicht auf den über 6.400 Meter hohen schnee-bedeckten Ilimani ist dabei ein Genuss.

Was ich mitnehme

Die Kooperativen in Bolivien arbeiten auf einem völlig anderen Niveau als beispielsweise Kooperativen in Honduras, Peru oder Costa Rica. Keine von ihnen hat festangestellte Mitarbeiter*innen wie Geschäftsführer*innen oder technische Berater*innen. Die durchschnittliche Größe der Felder ist sehr homogen – etwa 10 Hektar. Es gibt kaum Bauern, die mehr oder weniger Land besitzen. Alles wird gemeinschaftlich von den gewählten Vorständen und den Präsidenten gemacht, Erntehelfer gibt es nur in sehr geringem Umfang. Teilweise herrscht noch Analphabetismus und Verträge werden am Telefon abgeschlossen. Aufgrund der weiten Entfernungen müssen sich die Mitglieder bei vielen Tätigkeiten allein zu helfen wissen – zum Beispiel der Setzlingsaufzucht oder bei der Ernte und dem Trocknen der Kaffeebohnen. Umso wichtiger ist die Unterstützung durch Promotor*innen. Hier gibt es noch viel Potenzial für weitere Maßnahmen, wie beispielsweise die eigene Herstellung von Kompost und organischem Dünger, der in anderen Ländern bereits üblich ist.

Die Kooperativen haben auch viele gute Ideen, um ihre Einkommensbasis zu erweitern. So stellt eine Kooperative Mehl aus Kaffeekirschen her, aus dem dann wiederum leckere Kuchen, Kekse oder Pfannkuchen gebacken werden und die wir bei der Abschlussveranstaltung probieren konnten. Eine andere unterhält ein Gästehaus und ein Café in der Regionalhauptstadt, eine dritte arbeitet an einer „Kaffee-Route“ für Touristen – es gibt also noch viel Zukunftspotenzial.

Besonders erfreulich ist die hohe Solidarität und Kooperationsbereitschaft der Kaffeebäuerinnen und -bauern. Sie verstehen, dass sie nicht miteinander konkurrieren, sondern dass der Wettbewerb woanders liegt. Nämlich in den mechanisierten Großplantagen, die in den letzten Jahren ein Übermaß an billigem Kaffee auf den Markt geschwemmt und damit die Preise ruiniert haben. Hier gilt es, zusammenzuarbeiten, gemeinsam die Bedingungen für den Kaffeeanbau in der Region zu verbessern, und sich durch Qualität abzugrenzen, um den herausragenden bolivianischen Fairtrade-Kaffee auch in Zukunft im Markt zu halten.

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