Reise zur Kooperative C.A.C. Valle de Incahuasi in Peru vom 26. April bis 2. Mai 2019
Die Cooperativa Agraria Cafetalera Valle de Incahuasi– C.A.C. INCAHUASI – zu besuchen, ist eine echte Herausforderung und Geduldsprobe. Seit über 10 Jahren liefert sie den Kaffee für den Fairtrade-zertifizierten REWE Feine Welt Incahuasi Café Crema und Espresso. Als erstmals ein Einkäufer von REWE zu Besuch kam, gab es noch keine Straße und der Kaffee wurde mit Maultieren und Eseln zu den Sammelstellen gebracht. Immerhin – seit einigen Jahren führen sowohl Stromtrassen als auch Schotterstraßen bis in das Tal und machen es sowohl von Cusco als auch von Andayhualas aus zugänglich. Mein Weg führt mich von Lima zunächst nach Ayacucho, der Hauptstadt der Region Ayacucho und trauriger Schauplatz vieler Getöteten und Verschwundenen in den zwei Jahrzehnten der kriminellen und militärischen Gewalt der 1980er/90er Jahre. Gemeinsam mit dem für Süd-Peru zuständigen Kollegen des lateinamerikanischen Fairtrade-Produzentennetzwerks CLAC, Ricardo Aguilar, setzen wir uns von dort in einen quasi-öffentlichen PKW-Transport. Die Strecke ist immerhin eine gute ausgebaute Straße, wenn auch in dieser komplett bergigen Region ohne Tunnel und daher extrem kurvenreich. In La Paz um 4:45 Uhr morgens gestartet, kommen wir schließlich nach knapp 15 Stunden Fahrt um 19:30 Uhr in Andahuaylas an. Nach einer Besprechung mit dem Fotografen, den wir mitnehmen wollen, falle ich nur noch erschöpft ins Bett. Am nächsten Tag stehen noch einmal vier Stunden Schotterserpentinen bis nach Pacaypata an, danach weitere drei Stunden bis in das eigentliche „Tal des Inkahauses“ – das Valle de Incahuasi.
Die Gründungsgeschichte der Kooperative C.A.C. INCAHUASI
Der Mitgründer und heutige Geschäftsführer der Kooperative, Claudio Ortiz Osio, 53, wurde als neuntes von 12 Geschwistern in eine Kaffeefarmerfamilie hinein geboren. Die Familie gehört zu der Kaffeekooperative La Florida, einer der ältesten Fairtrade-zertifizierten Kaffeekooperativen des Landes. Sie war auch eine der ersten, die Kaffee ohne Zwischenhändler exportierten. In den 90er Jahren hörte der damals knapp 30-Jährige davon, dass es in den Bergen Kaffeegärten von besonderer Qualität gebe, die aber nur mit Maultieren zu erreichen seien. Von Neugierde gepackt machte er sich auf die Suche und entdeckte die hoch gelegenen Kaffeegärten im Valle de Incahuasi und die Familien, die an den Steilhängen unter unmöglichen Bedingungen ihren Kaffee anbauten.
„Das hat mich gepackt, ich wollte dort etwas auf die Beine stellen“, erzählt er mir. Es war klar, dass die Situation nur gemeinschaftlich geändert werden konnte. Zunächst gründete er mit rund 50 Kaffeefarmern eine Assoziation, eine einfache Form einer Kooperative, und versuchte bessere Bedingungen mit den Zwischenhändlern auszuhandeln. Die Entwicklung war nicht immer einfach. Mehrfach verlor die Gruppe fast alle Ressourcen. Die Preise stürzten immer wieder ab; in einem Jahr verloren sie fast die Hälfte ihrer Ernte und mussten den Rest zum halben Preis abgeben. Aber sie gaben nicht auf. Schnell sah Claudio Ortiz, dass eine Biozertifizierung den Wert ihres Kaffee steigern würde. Pestizide waren in diesem Tal bis dato sowieso kaum eingesetzt worden. Aber welche Zertifizierung war die Richtige? Noch einmal verging Zeit, bis alle Fragen geklärt und die Biozertifizierung geschafft war: „Wir mussten von Grund auf alles lernen“, erklärt Claudio Ortiz. 2005 schließlich erfolgte die Gründung als ordentlich verfasste Kooperative, 2006 die Fairtrade-Zertifizierung.
„Der Fairtrade-Mindestpreis schützt uns vor den Verwerfungen des Weltmarktpreises“
Die Fairtrade-zertifizierte Kooperative La Florida half mit den Exporten und stellte schließlich den Kontakt zum Hamburger Kaffeeimporteur Hacofco her. Seit über zehn Jahren verkauft die Kooperative C.A.C. INCAHUASI ein stetig steigendes Volumen feinsten Kaffees für den Fairtrade-gesiegelten REWE-Kaffee „Feine Welt“ Incahuasi Café Crema und Espresso, natürlich immer mindestens zum Fairtrade-Mindestpreis plus Bio-Aufschlag und mit Zahlung der Fairtrade-Prämie für Investitionen und Gemeinschaftsprojekte. „Der Mindestpreis schützt uns seither vor den Verwerfungen des Weltmarktpreises und hat uns eine große Sorge genommen. Außerdem hat die Prämie in den letzten Jahren sehr viele Investitionen und Projekte ermöglicht“, sagt Claudio Ortiz. Dazu gehören Investitionen in die Dienstleistungen der Kooperative für die Mitglieder. So wurden zum Beispiel nach und nach mehrere Lastwagen für den Transport angeschafft, Kooperativenmitglieder erhalten fertig angemischten organischen Dünger, dessen Zusammensetzung nach Bodenanalysen festgelegt wird, eine neue Lagerhalle wurde gebaut und ein erstes Qualitätslabor eingerichtet.
Aber auch Investitionen in die landwirtschaftliche Praxis sind nötig, nicht zuletzt, weil auch hier die Auswirkungen des Klimawandels spürbar werden. Die Gletscher in den Bergen sind kleiner geworden, es fällt im Winter weniger Schnee und im Frühjahr weniger Regen. Immer stärker stellt sich die Frage nach der Wasserversorgung der Menschen und Pflanzen. Deshalb investiert die Kooperative seit einigen Jahren auch in die Aufforstung der Berghänge. Die heimischen Bäume sollen unter der stärker brennenden Sonne mehr Schatten für die Kaffeesträucher bieten, das Mikroklima verbessern, Erosion verhindern und die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden erhöhen. Außerdem investiert die Kooperative: In die Qualität des Kaffees – sowohl auf dem Feld als auch in der Verarbeitung – aber auch in die Produktivität. Claudio Ortiz liegt besonders die Ausbildung der nächsten Generation Kaffeefarmer am Herzen und er verzeichnet bereits einige Erfolge: Mehrere der neun Gemeinden, die zu der Kooperative gehören, haben Präsidenten gewählt, die jünger als 40 Jahre sind und die mit viel Eigeninitiative die Weiterentwicklung der Gemeinschaft begleiten und Perspektiven für die Zukunft schaffen.
Das Projekt Incahuasi+ – Anlass für meinen Besuch
2018 haben Fairtrade Deutschland und die REWE Group eine Projektzusammenarbeit beschlossen, um diese abgelegene Kooperative stärker als bisher zu unterstützen. Gleichzeitig möchte TransFair auch die Zusammenarbeit von C.A.C. INCAHUASI mit der benachbarten Kooperative San Fernando verbessern und gemeinsam soziale Themen für die ganze Region voranbringen, wie beispielsweise die Teilhabe von Frauen. Mein erster Tag vor Ort startet daher mit einem Besuch in den Büros der Kooperative in Andahuaylas. Hier wollen wir weitere Maßnahmen wie zum Beispiel Diversifizierung, Aufforstung und Agroforstsysteme umsetzen, um die Kooperative auf die Auswirkungen des Klimawandels vorzubereiten. Außerdem sollen die Felder produktiver bewirtschaftet, die Qualität verbessert sowie Frauen und Jugendliche in die Führungskräfteausbildung eingebunden werden. Die Mitarbeitenden sind sehr engagiert und haben viele Ideen, wie sie die Kooperative voranbringen können. In den letzten Jahren ist es ihnen bereits mehrfach gelungen, Mittel für kleinere Projekte von lokalen Geldgebern einzuwerben. Auch dabei hat ihnen die Fairtrade-Prämie geholfen, denn sie können diese Summen mit Zustimmung der Mitglieder als Ko-Finanzierung einsetzen oder auch als Sicherheit für Kredite.
Ein Stück vom Paradies
Am späten Nachmittag fahren wir von Andahuaylas in Richtung Pacaypata. Die Straße führt in irren Serpentinen rauf und runter, über Bergpässe mit immer wieder großartigen Ausblicken auf schneebedeckte Gipfel. Zunächst wie eine Mischung aus Schweiz und Griechenland, aber eher trocken. Nach Passieren der Grenze zur Region Cusco wird es feuchter und tropischer, Palmen tauchen auf, aber auch Bananenstauden und fremdartige Blühpflanzen. Neben der sauberen Luft und der Schönheit der Berge kommt mir das Zusammenleben der Tiere untereinander und mit den Menschen paradiesisch vor. Überall sind Hunde, Katzen, Hühner, Kühe, Ziegen, Schafe, Gänse, Enten, Pferde in bunt gemischten Gruppen unterwegs – oftmals auch mit Jungtieren. Bis auf die freudige und lautstarke Verfolgung unseres durchfahrenden Wagens, jagen die Hunde keinem anderen Lebewesen hinterher – selbst Katzen nicht, die ihnen unter der Nase durchlaufen. Auch wilde Tiere sehen wir – zum Beispiel die ersten Stinktiere meines Lebens. Auch die Menschen wirken unheimlich friedlich, freundlich und offen. Angesichts der Gewalt, die noch vor einer Generation die Region erschütterte, ist das sicher keine Selbstverständlichkeit – oder vielleicht auch gerade deshalb. Vielleicht haben sie bewusst eine Form der Gemeinschaft und der gegenseitigen Unterstützung kultiviert.
Am späten Abend erreichen wir im stockdunklen Pacaypata, um in dem kleinen, aber sehr sympathischen „Cusco Hostal“ mit winzigen Zimmerchen, einer Toilette auf dem Hof und der Katze mit den riesigsten Augen, die ich je gesehen habe, zu übernachten.
Gemeinschaftsarbeit der Mitglieder – immer begleitet von Musik
Um 4:30 Uhr am nächsten Morgen geht es endlich ins Valle de Incahuasi. Die Kooperative besteht aus insgesamt neun kleineren Dorfgemeinschaften, die im Durchschnitt rund 50 Kooperativenmitglieder zählen. Innerhalb dieser Gemeinschaften organisieren sich die Mitglieder weitgehend selbst und folgen dem Prinzip der Gemeinschaftsarbeit, die sie hier in Quechua „Heine“ nennen. Die Felder werden nacheinander von allen gemeinsam abgeerntet und die Ernte in der gemeinsamen Verarbeitungsanlage weiterverarbeitet. Jeweils für einen Monat wird ein Mitglied der Gemeinschaft bestimmt, das sich um die sachgerechte Verarbeitung kümmert und dafür eine Aufwandsentschädigung erhält. Jede Gemeinschaft hat eine kleine Band, die zu Erntezeiten mit auf die Felder geht und Musik macht – so geht die Arbeit leichter von der Hand. Wie ein Spiegel der Kooperative, hat auch jede Gemeinschaft einen gewählten Präsidenten (bisher nur Männer, aber das soll sich ändern), ein Frauen- und Jugendkomitee und je nach Bedarf weitere Gremien der Selbstorganisation.
Auch hier spüren sie den Klimawandel
Nachdem wir die sehr hochwertigen, in der Sonne trocknenden Kaffeebohnen der ersten Ernte der Gemeinde Apayiia bewundert haben, fahren wir in den Hauptort Amaybamba, um uns bei einer Versammlung der Gemeindepräsidenten, Komitee-Vertreter*innen und weiteren Mitgliedern der Kooperative vorzustellen. Am eindringlichsten redet ein junger Mann, der sich vehement für mehr Aufforstung einsetzt, um der Trockenheit und Wasserknappheit zu begegnen. Auf die Frage, ob sich die Wetterverhältnisse in den letzten Jahren geändert habe, erhebt sich wildes Gemurmel und Kopfnicken – alle bestätigen die Veränderungen. Die größte Sorge ist die Wasserversorgung. Später zeigt uns Claudio Ortiz die Gipfel, die früher um diese Jahreszeit noch schneebedeckt waren und Gletscher, die sich immer weiter zurückziehen. Aufforstung ist daher ein wichtiger Aspekt auch in unserem Projekt und im Entwicklungsplan der Kooperative enthalten. In den letzten Jahren haben die Kaffeebäuerinnen und -bauern bereits rund 50 Hektar mithilfe von Fairtrade-Prämien aufgeforstet.
Solidarität statt Wettbewerb
Im Anschluss an die Versammlung findet ein Treffen gemeinsam mit Vertreter*innen der benachbarten Kooperative San Fernando statt. Unabhängig vom Projekt wollen die beiden Kooperativen ihre Zusammenarbeit stärken, um gemeinsame Herausforderungen im Tal anzugehen und sich gegenseitig zu unterstützen. Insbesondere die jüngeren Mitglieder sind sehr klar in ihren Aussagen: Die Konkurrenten sind nicht die Kleinbauernkooperativen untereinander, schon gar nicht die Fairtrade-zertifizierten. Konkurrenten sind all diejenigen, die unter ausbeuterischen Verhältnissen für Mensch und/oder Umwelt wirtschaften, die damit die aktuellen Billigpreise für Kaffee überhaupt erst ermöglichen und nachhaltigere Produktionsformen gefährden. Es werden klare Vereinbarungen zu Folgetreffen und Maßnahmen zum Beispiel zum gemeinsamen Umweltschutz und Nachwuchsarbeit getroffen, die wir auch im Rahmen des Projekts unterstützen.
Der Kaffee
Weiter geht es für uns zu einer der Chakras, wie die Kaffeegärten hier genannt werden. Lucio Luque Vasquez ist eines der aktiven Mitglieder, das die Geschicke der Kooperative entscheidend mitgestaltet. 2016 wurde er im jugendlichen Alter von 38 Jahren zum ersten Mal zum Präsidenten der Kooperative gewählt, 2018 sogar ein zweites Mal, aktuell ist er Vorsitzender des Bildungskomitees. Der Vorstand der Kooperative wird alle drei Jahre gewählt, innerhalb des Vorstands wird dann der Vorsitz jährlich neu entschieden. Don Lucio gehört zu den treibenden Kräften, die die Qualität des Kaffees, die Sortenexperimente und Verarbeitungsgüte kontinuierlich voranbringen und neue Techniken einführen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung von sogenannten „afrikanischen Betten“, um Kaffeebohnen hochwertiger zu trocknen. 2018 hat Don Lucio auf der Specialty Coffee Association of America (SCAA) – eine weltweite Fachmesse – in Boston einen Preis gewonnen für die herausragende Qualität seines Kaffees und wurde auf der Versammlung dafür geehrt. Ein Gründungsmitglied erklärt, wie stolz er auf diese jungen Mitglieder sei, dass sie sich für die Weiterentwicklung des Kaffees und der Kooperative so engagieren und damit den Gründungsgedanken der Kooperative fortführen.
Während unseres Besuches der Kaffeegärten, beginnt es in Strömen zu regnen. Wir sind auf rund 1.900 Metern Höhe – in der Kooperative bewegt sich der Kaffeeanbau zwischen 1.500 und 2.400 Metern. Der Hang ist unglaublich steil. Ich persönlich schaffe es nicht, mich auf diesem Hang zu bewegen, ohne abzurutschen. Wie muss das erst zur Ernte mit schweren Körben sein? Die Familie baut hier verschiedene Kaffeesorten an, um die Anfälligkeit für Schädlinge und Krankheiten zu minimieren. Konturpflanzung, wie sie die jungen Bauern und Bäuerinnen in Bolivien gerade gelernt haben, ist hier seit Jahren etabliert – anders lassen sich diese Steilhänge nicht bebauen. Zwischen den Kaffeepflanzen sind in regelmäßigen Abständen Schattenbäume gepflanzt, die kontinuierlich mit zusätzlichen Setzlingen ergänzt werden. Die heimischen und sorgfältig ausgewählten Bäume nehmen dem Kaffee keine Nährstoffe und führen im Idealfall sogar zu gewünschten Geschmacksnoten im Kaffee. Außerdem helfen sie gegen Hitze, erhöhen die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens und verhindern Erosion – ein Gewinn in jeder Hinsicht.
Empfang beim Frauen- und Jugendkomitee der Gemeinde Pacaybamba
Pacaybamba ist eine weitere der neun zur Kooperative gehörigen Gemeinden und besitzt ein sehr aktives Frauen- und Jugendkomitee. Mit Zuschüssen aus den Fairtrade-Prämien hat die Gruppe Gemüsegärten angelegt, die ihre eigene Ernährung verbessern und noch etwas zum Verkauf auf dem lokalen Markt abwerfen. Zudem haben sie einen kleinen Catering-Service mit warmen Speisen und Kuchen aufgebaut. Außerdem imkern sie und verkaufen Strick- und wunderschöne Webwaren. Die positiven Wirkungen des fairen Handels sind hier deutlich zu sehen und auch in der Haltung der Menschen zu spüren. Sie sind stolz, ein gutes Produkt für den deutschen Markt zu liefern und dafür angemessen bezahlt zu werden. Ihr größter Wunsch: Dass die Kundinnen und Kunden ihre harte Arbeit weiterhin honorieren und den Incahuasi-Kaffee auch in Zukunft genießen werden. So hoffen sie auch für ihre Gemeinschaft auf eine gute weitere Entwicklung, für die sie noch viele Ideen haben.
Abschied
Nach einem weiteren Besuch eines Kaffeegartens heißt es Abschied nehmen, aber nicht, ohne noch einmal ausgiebig auf der Straße zu tanzen. Gut, dass ich noch ein paar Sätze Quechua gelernt habe, so fällt das Abschiednehmen leichter…
Weiterführende Links:
Youtube-Video über die Cooperativa Agraria Cafetalera Incahuasi, Perú