Wir sind in Indien, in Tirupur. Die Stadt ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt der indischen Textilindustrie. Hier sind Tausende Betriebe angesiedelt in denen gesponnen, gewebt, gefärbt, gedruckt und genäht wird. Alles dreht sich um Textilien.

Unterwegs bin ich mit Rabea Schafrick, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Brands Fashion. Brands Fashion ist eines der drei ersten Textilunternehmen, die einzelne Lieferketten nach dem Fairtrade-Textilstandard umstellen möchten. Damit dies gut gelingt, hat Fairtrade ein Schulungsprogramm eingeführt, das den Menschen in den Textilbetrieben die Anforderungen des Textilstandards verständlich vermittelt – das Fairtrade-Textilprogramm. Es beinhaltet Trainings im Workshop-Format und umfasst Themen wie Arbeiterrechte und die wichtige Rolle von Arbeiterkomitees, Arbeitssicherheit und Gesundheit, Chemikalienmanagement, Methoden zur Produktivitätssteigerung und vieles mehr. Das Programm bildet Management und Beschäftigte darin aus, sozial verantwortlich zu produzieren.

Indische Schulungsexperten vor Ort

Sethu Lakshmy und Rohini Sekaran vom Fairtrade-Produzentennetzwerk für Asien und den Pazifikraum (NAPP) sind zwei sehr sympathische Trainerinnen des kompetenten Trainer- und Expertenteams für das Textilprogramm in Indien.

Wir haben das Glück, sie bei Trainings in vier verschiedenen Betrieben begleiten zu dürfen. In einer Färberei und einer Näherei halten sie Einführungsworkshops des Fairtrade-Textilprogramms für die leitenden Angestellten sowie Arbeiterinnen und Arbeiter ab. Hier werden Grundkenntnisse über Fairtrade, die Anforderungen des 2016 veröffentlichten Textilstandards, den Ablauf und Inhalt des Textilprogramms sowie die Relevanz von Sozialstandards vermittelt. In zwei weiteren Konfektionierungsbetrieben halten sie Schulungen für bereits gewählte Arbeiterkomitees ab, damit diese ihre Arbeit gut aufgestellt aufnehmen können.

Kurze Workshop-Einheiten zur Einführung ins Textilprogramm

Die Workshops zur Einführung in das Fairtrade-Textilprogramm und den Textilstandard finden für das Management sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter getrennt voneinander statt. Sethu und Rohini passen die Inhalte und Methodik entsprechend dem Vorwissen und Bildungsgrad der Workshop-Teilnehmenden an. Für das Management-Training verwenden sie eine Powerpoint-Präsentation, die alle Inhalte gut übersichtlich aufschlüsselt.

Die Färberei ist im Bereich der umweltverträglichen Chemikalienverwendung gut aufgestellt. Sie ist GOTS und Oeko Tex zertifiziert. Mit Sozial-Zertifikaten wie Fairtrade hat das Unternehmen bisher wenig Erfahrung. Die Näherei arbeitet bereits mit Stoffen aus Fairtrade-Baumwolle und muss bisher nur vorweisen können, dass die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden. Mehr jedoch nicht. Der Fairtrade-Textilstandard geht sehr viel weiter. Deshalb beginnen Sethu und Rohini den Workshops mit den Grundlagen von Fairtrade und seinen Sozialstandards.

Heranführung der Manager an den Fairtrade-Textilstandard

An den Management-Trainings nehmen Vorgesetze aus der Geschäftsführung, Personalabteilung, Buchhaltung und der Produktion teil. Zum Einstieg in den Workshop sind alle Teilnehmenden aufgefordert, sich kurz vorzustellen und auch über ihre Hobbys erzählen. Die sehr persönlichen Beiträge lockern die Stimmung etwas auf. Um die Teilnehmenden selbst zum Nachdenken anzuregen, fragt Sethu ab, was aus ihrer Sicht alles unter einen Sozialstandard fallen könnte. Alle rufen etwas in die Runde: „Löhne“, „Trainings“, „Beziehung zwischen Management und Arbeitern“. Danach teilen Sethu und Rohini Zettel mit den Anforderungen des Textilstandards aus. Die Gruppen sind aufgefordert zu diskutieren, was unter einem „Compliance Committee“, Beschwerdeverfahren, Verbot von Kinderarbeit, Arbeitsverträgen, Sicherheit und Gesundheit sowie dem Verbot von Diskriminierung zu verstehen ist. 

 

Existenzsichernde Löhne als besondere Herausforderung

Als Sethu beim Workshop in der Färberei die Anforderung existenzsichernder Löhne anspricht, die gemäß des Textilstandards innerhalb von sechs Jahren von jedem Betrieb in der Textillieferkette gezahlt werden sollen, bricht eine Diskussion aus. Derzeit sei es nicht vorstellbar die finanziellen Mittel dafür aufzubringen, sagt der Geschäftsführer. Außerdem würden die Arbeiter ihr Gehalt ohnehin für unnütze Dinge ausgeben, egal wie hoch der Lohn sei. Sethu erläutert, dass für die Zahlung existenzsichernder Löhne natürlich alle an einem Strang ziehen müssen – von dem Markenunternehmen als Auftraggeber über die Produktionsstätten, die effizienter produzieren und so Gelder umschiften können, bishin zu Fairtrade, die den Prozess mit ihren Kompetenzen als Trainer und Berater begleiten.

Zum Ende des Workshops sind die Teilnehmenden deutlich gelöster als zu Beginn, weil sie nun verstanden haben, dass Fairtrade ihnen mit dem Textilprogramm Unterstützung anbietet. In welchen Bereichen genau, das wird bei einer Überprüfung der Betriebe in so genannten Pre-Assessments herausgefunden. Sethu ist nach den Management-Workshops zufrieden: „Es dauert einige Zeit, bis uns die leitenden Angestellten vertrauen. Doch die meisten verstehen erst so richtig, was die Anforderungen des Textilstandards bedeutenden, wenn Schulungen für die Arbeiterkomittees in ihren Betrieben stattgefunden haben. Denn mit den Schulungen der Arbeiterinnen und Arbeiter geht eine direkte Stärkung der Mitwirkung im Arbeitsalltag einher.“

Bei unserem Besuch in Tirupur hatten wir auch die Möglichkeit, an Einführungs- und Komitteeschulungen für Arbeiterinnen und Arbeiter teilzunehmen. Mehr dazu lesen Sie in den folgenden Beiträgen: